Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
durchgehen möchten. Hauptmann Mathieu – man erkennt sofort, wer damit gemeint ist – ist außerordentlich intelligent. Er ersinnt einen perfekten Plan und führt ihn ohne Hass aus. Yacef Saadi ist großartig in seinem angeberischen Heroismus. Ali la Pointe, der Mörder, ist ein romantischer Vertreter des Lumpenproletariats und stirbt am Ende, weil man nicht weiß, was man sonst mit ihm machen sollte: er ist nur vorläufig da. Alles ist gut aufeinander abgestimmt, alles ist klar, nichts bleibt im Schatten. Ich habe den Film gut verstanden. Es gibt keinen Bösewicht, vielmehr bewirkt der Lauf der Geschichte, dass man sich ihr nicht in den Weg stellen kann. Ich begriff nicht, warum man den Film verboten hat. Die Realität war viel grausamer gewesen.
Die Realität war viel grausamer gewesen als es der Film zu zeigen wagte, die FLN schnitt den Leuten die Nasen, die Lippen und die Eier mit einer Gartenschere ab, die Fallschirmjäger folterten Typen, die sich die Hosen vollgeschissen hatten und deren Füße in der Pisse schwammen, mit Elektroschocks. Und alle hatten ein Anrecht darauf: die Schuldigen, die Verdächtigen, die Unschuldigen. Denn es gab keine Unschuldigen, es gab nur Aktionen. Die Leute wurden durch den Fleischwolf gedreht, ohne dass man sie nach dem Namen fragte. Man tötete mechanisch, die Menschen starben durch Zufall. Die Rasse, die verschwommene Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die sich am Gesicht ablesen ließ, war ein ausreichender Grund zu sterben. Man beging Verrat, man liquidierte, man wusste nicht recht, wer wem angehörte, man mordete aufgrund von Ähnlichkeiten, Verlogenheit war der Motor, der den Krieg unermüdlich antrieb, der Verbrennungsmotor, der Elektromotor, verbunden mit einer Gewalt, auf deren Beschreibung man besser verzichtet.
Aber vergessen wir das. Inzwischen herrscht der »Frieden der Tapferen«, Oberst Roger Trinquier, der Paranoiker, und Saadi, der Histrione, können vor einer Fernsehkamera miteinander plaudern. Ein vereintes Volk wird nie besiegt. Alles ist klar in der Schlacht um Algier von Gillo Pontecorvo. Aber irgendetwas an diesem einfachen Film kam mir seltsam vor. Etwas Unsichtbares an diesen Schauplätzen, die er zeigte, rief eine gewisse Unruhe in mir hervor, die ich nicht begriff. Ich wusste, dass der Film in Algier gedreht worden war, und zwar mit Leuten, die dort lebten und die man heute Algerier nennt, während dieser Name seinerzeit andere Menschen bezeichnete. Die Schauplätze kamen mir leer vor. Die Europäer standen auf ihren Balkonen wie Marionetten in einem kleinen Schloss. Das Stadion, das man bei einem Attentat sieht, wird in der Halbtotalen gezeigt wie bei historischen Filmen, um keine Stromleitungen oder vorüberfliegende Flugzeuge aufs Bild zu bekommen. Ein Jeep mit Soldaten fährt durch eine leere Straße, an der alle Geschäfte und Türen geschlossen sind und nur ein paar Europäer auf Balkonen stehen da wie Töpfe mit Geranien, sehr wenige und alle völlig steif. Die Kulisse dieser so klaren Geschichte rief eine leichte Verwirrung in mir hervor, die mir jedoch kaum bewusst wurde. Ich dachte nicht wirklich darüber nach; und schließlich sah ich die Panzer.
Genauer gesagt, den Panzer, denn es gab nur einen, und zwar in der Kurve unterhalb der großen Siedlung Climat de France , umgeben von Beamten der Bereitschaftspolizei. Er stellte ganz allein die Panzer dar, die im Legendenschatz der Linken das Symbol für die Aufrechterhaltung der Ordnung sind, das Symbol für die Unterwerfung des Volkes. In den letzten Szenen der Schlacht um Algier von Gillo Pontecorvo sieht man die repressive Maschine des präfaschistischen französischen Staats bei dem Versuch, das algerische Volk – ich fügte dem Wort »Volk« nicht das Wort »progressiv« hinzu, das wäre ein Pleonasmus – im Schritttempo plattzumachen, doch trotz all seiner technischen Raffinesse gelingt es ihm nicht. Die Vitalität des Volkes besiegt das repressive Werkzeug. Vor den Mauern der Siedlung Climat de France tauchte ein von schwarz gekleideten Beamten der Bereitschaftspolizei umgebener Panzer auf. Ich begann laut zu lachen.
Ich war der Einzige, der lachte, und sie, die sich eng an mich geschmiegt hatte, war erstaunt, doch ich drückte ihr so liebevoll die Hand, dass sie lächelte und sich noch enger an mich schmiegte.
Ich kannte diesen Panzer, der in der Kurve unter der Siedlung Climat de France aufgetaucht war. Ich hatte als Kind die Enzyklopädie von Larousse studiert, die Ausgabe mit
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