Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
angetrieben, gebe ich mir alle Mühe, dabei würde ich viel lieber malen, stumm mit dem Finger etwas zeigen, in der Hoffnung, das könne genügen. Doch das genügt nicht. Ich will weiterhin die Sprache hören, ich befürchte, dass meine Sprache ausstirbt, ich will sie hören, ich will meine übel zugerichtete Sprache wiederherstellen, ich will sie in ihrer Gesamtheit wiederfinden mit all denen, die von ihr leben und sie am Leben erhalten, denn sie ist das einzige gemeinsame Land.
Wir verlieren immer mehr Worte, seit das Kolonialreich zerfallen ist, und das heißt so viel, wie einen Teil der Gebiete zu verlieren, in denen wir gelebt haben, das heißt so viel, wie die Fläche des »wir« zu verkleinern. Es gibt verfaulte Elemente in unserer Sprache, einen ungesunden Teil von stillgelegten Worten, von geronnenem Sinn. Die Sprache verfault wie ein Apfel an der Stelle, an der sie einen Schlag bekommen hat. Das hat in der Zeit begonnen, als Französisch, die Sprache des Kolonialreichs, die Sprache des Mittelmeerraums, die Sprache der von Menschen wimmelnden Städte, der Wüsten und der Urwälder, in der Zeit, als Französisch von einem Ende der Welt bis ans andere die internationale Sprache des Verhörs war.
Ich versuche das von ihm zu erzählen, was er nie gesagt hat. Ich versuche, das von ihr zu sagen, was sie sich nie vorzustellen gewagt hat. Ich hätte es lieber gezeigt; ich hätte es lieber gemalt: aber es handelt sich um Worte, die in uns und zwischen uns zirkulieren und sich festzusetzen drohen, und Worte lassen sich nicht zeigen. Daher erzähle ich, um zu vermeiden, dass wir einer Lähmung zum Opfer fallen, einem widerlichen Blutgerinnsel, wir alle, wir beide, ich selbst.
Ich schreibe für dich, mein Herz. Ich schreibe, damit du weiter ganz fest gegen mich schlägst, damit das Blut unter deiner und meiner Haut in geschmeidigen, seidenumhüllten Adern weiterfließt. Ich schreibe, mein Herz, damit nichts stehen bleibt, damit der Atem nicht innehält. Ich muss, um dir zu schreiben, um dich am Leben zu erhalten, um dich geschmeidig, warm und fließend zu bewahren, alle Mittel verwenden, die die Sprache bereithält, alle zitternden und ungenauen Worte, die Gesamtheit all dieser Namen, wie eine große Truhe, wie einen Schatz aus Edelsteinen, von denen jeder durch den Gebrauch poliert einen schimmernden Glanz widerspiegelt. Ich brauche alles, um dir zu schreiben, mein Herz, um einen Spiegel aus Worten zu erschaffen, in dem du dich wiedererkennst, einen sich bewegenden Spiegel, den ich ganz fest in den Händen halte, und darin betrachtest du dich und entfernst dich nicht.
Ich denke nach, ich erschaffe einen Spiegel, ich spiegele nur wider. Ich betrachte genau jede Einzelheit deines Äußeren, jede sich offenbarende Einzelheit deines Körpers, die alle ihr Echo in der Realität des pulsierenden Blutes in deinem Inneren finden, mein Herz, in der rhythmischen Bewegung, mit der dein Blut durch die seidenumhüllten Adern gleitet, einen Widerhall in der roten Höhle, in die ich eindringe, o samtweiche Höhle, in der ich verharre und schwach werde.
Mehr als alles andere liebe ich an dir die Mischung der Zeiten, deine Präsenz, die für mich ein ständiges Geschenk ist, die Spuren dessen, was dich geformt hat, und die sowohl Teile deines bisherigen, deines gegenwärtigen und deines zukünftigen Lebens sind, ich liebe diese Vitalität, die Vitalität von fließendem Blut, ein deutlich sichtbares Versprechen, dass nichts aufhört, dass es ein Danach geben wird, so wie es ein Jetzt gibt, wie ein immer wieder erneuertes Geschenk.
Ich liebe, mehr als alles andere, die Unebenheiten deines Äußeren; sie zeigen mir, dass das Leben schon seit jeher und für immer weitergeht und dass es in diesem Fluss, in dieser Bewegung möglich ist. O mein Herz! Du pochst ganz nah an mir, wie der Rhythmus der Zeit selbst, ich liebe das Fleisch deiner Lippen, die mir zulächeln, wenn ich mit dir spreche, und die Liebkosungen entgegennehmen oder verschenken, derer die Hände nicht imstande sind; ich liebe den zitternden Flaum deines grauen und weißen Haars, diese Wolke aus Schwanenflaum, die deine Züge umgibt, ich liebe das Schwererwerden deiner Brüste, die sich entfalten wie weiche Tonerde, die langsam die Form dessen annimmt, was sie umfängt; ich liebe die Wölbung deiner Hüften, die dir die reine Krümmung einer Mandel verleihen, die Krümmung von flach aufeinandergelegten Händen, Daumen gegen Daumen, Zeigefinger gegen Zeigefinger, die
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