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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Menschen an bestimmten Orten etwas spielen zu lassen; und was wir auf der leuchtenden Leinwand sahen, dem einzigen Licht in dem dunklen Saal bis auf unsere glänzenden Augen und die grünen Pfeile, die die Richtung der Notausgänge anzeigen – was wir dort sahen, hatte tatsächlich stattgefunden. Die Leinwand, die wir wortlos anschauten, war ein Fenster, durch das wir die nicht mehr existierende Vergangenheit betrachten konnten, ein Fenster in der Wand der Zeit, das sich wieder schloss, sobald die Lichter im Kino wieder aufleuchteten. Aus dem Fenster gebeugt, ohne nach draußen gehen zu dürfen, auf Anweisung in mehreren Reihen in der Dunkelheit sitzend, betrachteten wir den paseo der Toten, ohne ihn zu begreifen.
    Ich nahm sie mit, sie vertraute mir, was die Wahl des Films anging, ich hatte schon so viel vor der Laterna magica erlebt, dass ich einschätzen konnte, was uns gut gefallen würde. Und so sahen wir uns die Schlacht um Algier von Gillo Pontecorvo an.
    Dieser Film war geradezu legendär, da niemand ihn gesehen hatte. Er war verboten worden, man sprach nur andeutungsweise über ihn, er war eine Legende unter den Linken. »Ein großartiger Film«, sagte man. »Mit großartigen Leuten, die Rollen sind zum Teil mit echten ehemaligen Aktivisten besetzt … Es brauchte kaum etwas rekonstruiert zu werden … Man hat wirklich den Eindruck, dabei zu sein … Es ist ein großer Film, der lange verboten war … in Frankreich natürlich«, sagte man.
    Als man ihn sich endlich ansehen konnte, hatte ich den Wunsch, sie mitzunehmen, und erklärte ihr: »Der alte Typ, den ich oft besuche, bringt mir das Malen bei. Als Gegenleistung erzählt er mir vom Krieg.« »Von welchem?« »Von dem, der zwanzig Jahre gedauert hat. Er hat ihn von Anfang bis Ende miterlebt, und daher möchte auch ich diesen Film sehen, über den so viel geredet wird; ich möchte sehen, was sie da gefilmt haben, um zu begreifen, was mir der Alte erzählt.«
    Wir sahen endlich diese linke Legende, diesen lange verbotenen Film, dessen Drehbuch der Chef der autonomen Zone Algiers geschrieben hat, der seine eigene Rolle darin spielt. Ich habe den Film gesehen und mich gewundert, dass man es für nötig gehalten hat, ihn zu verbieten. Man weiß, dass dort Gewalt ausgeübt worden ist. Wenn Roger Faulques oder Jean Graziani behauptet haben, sie hätten bloß ein paar Ohrfeigen zu geben brauchen, um Informationen zu bekommen, weiß man, dass das nicht stimmt. Man weiß, dass diese »Ohrfeigen« lediglich eine Metonymie waren, der sichtbare Teil, der Teil, den man von der dunklen Masse der totgeschwiegenen Misshandlungen zugeben konnte. Das weiß man. Der Film erwähnt sie, aber hält sich nicht lange damit auf. Die Folter ist eine mühsame, langwierige Technik, die sich für den Film nicht eignet. Die Fallschirmjäger verhören die Verdächtigen: sie arbeiten. Sie versuchen, ohne Sadismus und ohne Rassismus Informationen aus den Körpern, in denen sie verborgen sind, herauszuquetschen; der Film zeigt keinerlei Exzesse. Sie stellen den Mitgliedern der FLN nach, und wenn sie welche finden, nehmen sie diese fest oder töten sie. Die fast an Techniker erinnernden Militärs empfinden keinen Hass, ihr professionelles Vorgehen mag Angst einflößen, aber sie führen Krieg und bemühen sich, ihn zu gewinnen; am Schluss verlieren sie ihn.
    Den Algeriern ist in diesem Film der Adel des sowjetischen Volkes zu eigen; jeder von ihnen ist ein marxistisches Lehrbeispiel, das der Regisseur mit der Standbild-Technik filmt. Er zeigt in Großaufnahmen Gesichter von Menschen aus dem Volk in Straßenszenen, namenlose Individuen inmitten zahlloser Mitmenschen, einer fröhlichen Menge oder einer wütenden Menge, je nachdem, was gerade erforderlich ist, aber einer stets würdigen Menge, und bei jedem Porträt wird angezeigt, was man beim Auftauchen dieser Menschen zu empfinden hat.
    Der Film ist von bewundernswerter Klarheit. Die algerischen Helden sterben, aber das anonyme Volk ersetzt sie; der Aufruhr auf der Straße lässt sich nicht unterdrücken, die Kriegstechniker sind machtlos angesichts des Laufs der Geschichte. Der Film wurde allen kleinen Algeriern gezeigt, damit sie die Heldentaten ihrer Väter sehen und stolz darauf sein konnten, einem so hartnäckigen Volk anzugehören und damit sie den Wunsch haben würden, diesen schönen, reglosen, aus dem Volk gezogenen Porträts zu gleichen, den Porträts im körnigen Schwarz-Weiß linker Spielfilme, die als Dokumentarfilme

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