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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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der Soldat im Lagerraum antwortete ihm, und der Offizier übersetzte das in melodisches Französisch für den Beamten, der hinter ihm saß und den er nicht ansah. Der hochgewachsene Offizier lehnte mit einer Pobacke am Tisch, wie ein Vogel auf der Hut, eine Hand in die Tasche gesteckt, wodurch der untere Saum seiner Jacke sichtbar wurde. Seine Schultern waren eckig, die schräg angehobene Schirmmütze drückte eine gewisse Kühnheit aus, die Bügelfalten seiner in den Stiefel steckenden Hosenbeine wirkten wie in Stein gemeißelt. Er war noch keine dreißig, mehr ließ sich über ihn nicht sagen, denn in seinem Aussehen kämpften jugendliche und verbrauchte Züge gegeneinander. Eine violette Narbe verlief von seiner Schläfe über die Wange bis zum Hals und verschwand im Kragen seiner schwarzen Jacke. Er gehörte der SS an, ein gestickter Totenkopf verzierte seine Schirmmütze, aber niemand hatte auf seinen Dienstgrad geachtet. In seiner Pose wirkte der lässige Athlet wie ein eleganter Raubvogel und erinnerte an jene schönen Plakate, auf denen verkündet wurde, dass die SS in ganz Europa ungerührt über Leben und Tod entschied.
    Victorien saß hinter ihm, dem Beamten gegenüber, der die Rechnungen überprüfte, und fertigte eine Übersetzung ins Lateinische an; auf dem Rand seiner Kladde skizzierte er die Szene: der reglose Soldat, der gebeugte Beamte, der Offizier, der mit vornehmer Langeweile darauf wartete, dass die Verwaltungsaufgaben erledigt waren; und sein Vater, der mit ungetrübtem, aufrichtigen Lächeln, diszipliniert, aber ohne Unterwürfigkeit, offenherzig, aber nicht schmierig auf alle Fragen einging, zwar gehorsam, aber mit jener Spur von Zurückhaltung, die dem Besiegten erlaubt ist; hohe Kunst.
    Schließlich klappte der Beamte das Rechnungsbuch zu, schob den Stuhl zurück und seufzte.
    »Monsieur Salagnon, es ist alles in Ordnung. Sie respektieren die Gesetze der Kriegswirtschaft. Glauben Sie nicht, dass wir das in Zweifel gezogen hätten, aber die Zeiten sind äußerst hart, und wir müssen alles überprüfen.«
    Er beendete den Satz mit einem nachdrücklichen Augenzwinkern hinter dem Rücken des Deutschen. Victoriens Vater zwinkerte zurück und wandte sich dann dem Offizier zu.
    »Ich bin sehr erleichtert. Alles ist heute so kompliziert …«
    Seine Lippen bebten von der Anstrengung, ein Lächeln zu unterdrücken. »Ein Irrtum ist immer möglich, und dessen Folgen sind in Kriegszeiten unberechenbar. Darf ich Ihnen ein Glas von meinem besten Cognac anbieten?«
    »Wir gehen jetzt, ohne Ihre Einladung anzunehmen. Wir waren schließlich nicht zum Aperitif hier, Monsieur: Wir haben Sie einer Kontrolle unterzogen.«
    Der Beamte schloss seine Aktentasche und zog den Mantel an, wobei ihm Salagnon, der kein Wort mehr zu sagen wagte, nervös half. Es verunsicherte ihn, dass der Deutsche nichts annehmen wollte.
    Der Soldat, der aus dem Lagerraum zurückkam, klopfte den Staub von seiner Uniform und befestigte sorgsam den Kinnriemen seines Helms. Während die anderen sich zum Gehen rüsteten, machte der Offizier mit auf dem Rücken verschränkten Händen ein paar Schritte durch den Raum. Er blieb hinter Victorien stehen, beugte sich über dessen Schulter und zeigte mit einem behandschuhten Finger auf eine Zeile.
    »Dieses Verb erfordert den Akkusativ und nicht den Dativ, junger Mann. Sie müssen auf die Fälle achten. Die Franzosen machen häufig diesen Fehler. Sie können nicht deklinieren, im Gegensatz zu uns sind sie das nicht gewohnt.«
    Er tippte auf die Zeile, um seinen Ratschlag rhythmisch zu begleiten, und dabei verschob sich das Blatt. Er sah die Skizze auf dem Rand der Kladde: Der Wachsoldat, der dastand wie eine Bohnenstange, die Rückenansicht des Offiziers als ernüchterter Vogel, der über das Buch gebeugte Beamte, der eine Brille auf der Nase trug, aber über sie hinwegschielte, und der ihm zuzwinkernde Monsieur Salagnon. Victorien errötete und versuchte nicht, die Zeichnung zu verdecken, dafür war es zu spät. Der Offizier legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie fest.
    »Übersetzen Sie gewissenhaft, junger Mann. Die Zeiten sind schwierig. Widmen Sie sich dem Studium.«
    Seine Hand flog davon, er richtete sich auf, erteilte einen kurzen Befehl auf Deutsch, und alle gingen fort; er an der Spitze, und die beiden Soldaten marschierten mit regelmäßigem Schritt am Schluss. Auf der Türschwelle wandte er sich zu Victorien um. Ohne zu lächeln zwinkerte er ihm zu und verschwand dann

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