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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Mittagsschlaf auf Mooskissen ins Unterholz legten, drangen die Deutschen mit dem unvorstellbaren Lärm von Motoren und Bomben vor. Ihre Offiziere rieten ihnen halblaut, sich aus dem Staub zu machen, und nach zwei Tagen war das Regiment nach und nach, Stück für Stück verschwunden.
    Sie marschierten auf Landstraßen in immer kleineren und immer weiter voneinander entfernten Gruppen, und schließlich waren sie nur noch eine Handvoll Kumpel, die mehr oder weniger nach Südwesten marschierten, ohne irgendjemandem zu begegnen. Sie stießen nur ab und zu auf einen am Straßenrand zurückgelassenen Wagen, dem das Benzin ausgegangen war, oder auf einen verlassenen Bauernhof, dessen Bewohner ein paar Tage zuvor geflohen waren und die ihr Vieh zurückgelassen hatten, das durch die Innenhöfe aus gestampfter Erde irrte.
    In Frankreich war es still. Unter einem sommerlichen Himmel ohne Wind, ohne Autos, waren nur ihre Schritte auf dem Kies zu hören, sie gingen über von Bäumen gesäumte Straßen, zwischen Hecken, ihre Waffen und ihre Uniformen wurden ihnen lästig. Im Mai 1940 war es wunderbar warm, der dicke, vorschriftsmäßige Soldatenmantel störte sie, die Wickelgamaschen klebten ihnen an den Beinen, das Käppi aus dickem Tuch ließ den Schweiß herabrinnen, ohne ihn aufzusaugen, die langen Gewehre rutschten hin und her, schlugen gegeneinander und ließen sich nur schwer als Gehstöcke benutzen. Nach und nach warfen sie alles in die Straßengräben, liefen ohne Gamaschen, in Hemdsärmeln und ohne Kopfbedeckung; sie entledigten sich sogar ihrer Waffen, denn was sollten sie schon damit anfangen? Die Begegnung mit einer feindlichen Kompanie wäre für sie tödlich ausgegangen. Manche von ihnen hätten zwar gern ein paar versprengte Feinde aufs Korn genommen, aber angesichts der gut organisierten Truppen der Gegenseite hätten sie dieses kleine Vergnügen teuer bezahlt; und selbst die Kameraden mit dem größten Mundwerk wussten genau, dass das nur leeres Gerede war, der Versuch, nicht das Gesicht zu verlieren, zumindest was Worte anging, denn natürlich hatten sie das Gesicht längst verloren. Und so warfen sie auch ihre Waffen weg, nachdem sie diese unbrauchbar gemacht hatten, um sich keine Vorwürfe machen zu müssen und um noch ein letztes Mal den militärischen Vorschriften zu gehorchen, und dann gingen sie mit leichten Schritten weiter. Wenn sie an einem verlassenen Haus vorbeikamen, durchwühlten sie die Schränke nach Zivilkleidung und bedienten sich. Nach und nach hatten sie nichts mehr von Soldaten an sich, ihr Ungestüm war verschwunden wie Raureif in der Morgensonne, und sie waren nur noch eine Gruppe müder junger Leute, die nach Hause gingen. Manche schnitzten sich einen Wanderstab, andere trugen die Jacke über dem Arm, es war, als machten sie in der schönen Maisonne einen Ausflug auf den verlassenen Landstraßen Lothringens.
    So ging das, bis sie den Deutschen begegneten. Auf einer breiteren Straße hatte eine Kolonne grauer Panzer unter Bäumen haltgemacht. Die Soldaten nahmen mit nacktem Oberkörper ein Sonnenbad auf ihren Fahrzeugen, rauchten oder aßen lachend, sie waren gebräunt und ihre schönen Körper unversehrt. Eine Kolonne französischer Kriegsgefangener kam ihnen entgegen und wurde von Reservisten in reifem Alter geführt, die ihre Gewehre wie Angelruten in den Händen hielten. Die deutschen Soldaten saßen mit baumelnden Beinen auf ihren Panzern, riefen sich gegenseitig scherzhafte Worte zu und machten Fotos. Die Gefangenen wirkten älter, waren schlecht gebaut, schlecht gekleidet, gingen mit schlurfenden Schritten durch den Staub, jämmerliche Erwachsene, die mit gesenktem Kopf unter den spöttischen Bemerkungen junger Athleten in Badeanzügen vorbeizogen. Die Gruppe des Onkels wurde mit einem Fingerschnalzen gefangen genommen, buchstäblich. Einer der schmerbäuchigen Wärter schnalzte mit dem Finger in ihre Richtung und wies mit der Unerschütterlichkeit eines Grundschullehrers auf die Kolonne. Ohne ihnen irgendeine Frage zu stellen, ja ohne sie zu zählen, gliederte man sie ein. Die Kolonne wurde von Tag zu Tag länger, setzte ihren Marsch nach Nordosten fort.
    Das war dem Onkel zu viel, er floh. Viele flohen: Es war nicht ohne Risiko, aber auch nicht sonderlich schwierig. Man brauchte nur die geringe Anzahl der Wärter, ihre Trägheit, eine Kurve oder Büsche am Straßenrand auszunutzen; jedes Mal flohen ein paar. Manche wurden gefasst, an Ort und Stelle erschossen und im Straßengraben

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