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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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begann er zu pfeifen. Er pfiff mehrere Lieder, bekannte und weniger bekannte, dann ein paar frivole und schließlich sehr laut und mehrmals God Save the King . Salagnon, der nicht sehr musikalisch war, begleitete ihn trotzdem und schuf mit ein paar kurzen, tiefen »pom, pom« eine durchaus annehmbare Basslinie. Das ermutigte seinen Kameraden, lauter und deutlicher zu pfeifen, und sogar zu trällern, ohne jedoch die Worte zu singen, denn er konnte kein Englisch, kannte nur den Titel. Sie scheuerten fester und im Rhythmus, die widerspenstigen Flecken verschwanden zusehends, die Hymne übertönte deutlich das Scheuern der Töpfe, das Gluckern des Brunnens und des spritzenden Wassers in der Tränke. Ein Vorgesetzter kam herbeigerannt, einer jener Typen, die so sehr an den kleinen Einzelheiten der Ordnung hängen wie Eltern oder Grundschullehrer.
    »Hier singt man so was nicht!« Er schien wütend zu sein.
    »Lully? Lully ist hier verboten? Das wusste ich nicht, Chef.«
    »Wieso Lully? Ich meine die Melodie, die du gesungen hast.«
    »Aber die stammt von Lully. Der ist nicht subversiv, der ist tot.«
    »Willst du mich verarschen?«
    »Ganz und gar nicht, Chef.«
    Hennequin pfiff wieder. Mit Schnörkeln, die durchaus aus dem 17. Jahrhundert zu stammen schienen.
    »Hast du das gesungen? Ich dachte, es wäre etwas anderes gewesen.«
    »Was denn, Chef?«
    Der Vorgesetzte brummelte etwas und drehte sich auf dem Absatz um. Als er außer Sichtweite war, lachte sich Hennequin eins ins Fäustchen.
    »Das war ganz schön gewagt«, sagte Salagnon. »Stimmt das etwa, was du da gesagt hast?«
    »Musikalisch ist das völlig zutreffend. Ich hätte das Ton für Ton nachweisen können, und dieser Stiefelwichser wäre nicht in der Lage gewesen, mir zu beweisen, dass ich etwas Verbotenes gepfiffen habe.«
    »Man braucht keinen Beweis, um jemanden zu töten.«
    Sie zuckten zusammen und wandten sich gleichzeitig um, die Stahlwolle in der einen Hand und einen großen Topf in der anderen: Der Onkel war mit ruhigen Schritten herbeigekommen, als wolle er das Kochgeschirr inspizieren, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
    »Eine Kugel in den Kopf ist in manchen Situationen ein völlig ausreichendes Argument.«
    »Aber das war wirklich Lully …«
    »Stell dich nicht dümmer als du bist. An anderen Orten würde ein simples Zögern, der simple Versuch zu diskutieren, ein simples Wort, das etwas anderes sagt als ›Ja, Monsieur‹, oder die Frechheit, nicht die Augen zu senken, zu einer augenblicklichen Erschießung führen. So wie man sich störender Tiere entledigt. Angesichts einer kleinen Dummheit, wie du sie gerade begangen hast, öffnet der diensthabende Offizier sein Revolveretui, nimmt ohne Eile die Waffe heraus und erschießt dich, ohne dich beiseite geführt zu haben, mit einer Kugel, an Ort und Stelle, und lässt deine Leiche dort liegen, er überlässt es den anderen, sie wegzubringen, wohin sie wollen, das ist ihm völlig egal.«
    »Aber man tötet doch nicht jemanden einfach so.«
    »Heute schon.«
    »Man kann doch nicht alle töten, dann hätte man viel zu viele Leichen. Wie soll man denn all die Leichen loswerden?«
    »Leichen sind kein Problem. Solange der Mensch noch lebendig ist, wirkt er solide. Er nimmt ein gewisses Volumen ein, weil er voller Luft ist und viel Wind macht. Aber wenn er tot ist, geht die Luft raus und der Körper sinkt in sich zusammen. Wenn du wüsstest, wie viele leblose Körper man in einem Loch einpferchen kann! Sie werden schnell zu Brei, versinken und vermischen sich sehr gut mit Schlamm. Oder man verbrennt sie. Dann bleibt nichts von ihnen zurück.«
    »Warum sagen Sie das? Das ist doch reine Erfindung.«
    Der Onkel zeigte seine Handgelenke. Eine kreisrunde Narbe umgab sie, als wäre die Haut von Ratten angeknabbert worden, die versucht hatten, seine Hände abzutrennen.
    »Ich habe es gesehen. Ich war Gefangener. Ich bin geflohen. Aber es ist mir lieber, wenn ihr euch das, was ich wirklich gesehen habe, nicht vorstellen könnt.«
    Hennequin trat errötend von einem Bein aufs andere.
    »Ihr könnt jetzt weiterspülen«, sagte der Onkel. »Spinat darf nicht antrocknen, sonst klebt er am Topf. Das habe ich bei den Pfadfindern gelernt.«
    Die beiden Jungen machten sich stumm und mit gesenktem Kopf wieder an die Arbeit, sie waren zu befangen, um sich gegenseitig einen Blick zuzuwerfen. Als sie den Kopf hoben, war der Onkel verschwunden.
    Alles entschied sich zu Beginn eines Vormittags. Eine gewisse Unruhe

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