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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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denn er sabberte leicht.
    Der Onkel klopfte an die Scheibe und gab durch eine Handbewegung zu verstehen, dass man ihm die Augen verbinden solle. Die Jungen nickten und taten es mit einem Pfadfinderhalstuch. Hennequin stammelte gequält: »Nicht die Augen, nicht die Augen. Ich schwöre euch, dass ich nichts sage. Lasst mich gehen, ich bin nur auf den falschen Lastwagen gestiegen. Das ist doch nicht schlimm, auf den falschen Lastwagen zu steigen. Ich sage bestimmt nichts, aber verbindet mir nicht die Augen, das ist unerträglich, lasst mich sehen, ich verrate kein Wort.«
    Er schwitzte, weinte und stank. Die anderen hielten ihn mit ausgestreckten Armen fest, um ihm nicht zu nahe zu kommen. Er wehrte sich immer weniger, begnügte sich damit zu stöhnen. Der Lastwagen hielt an und der Onkel stieg auf die Pritsche.
    »Lassen Sie mich gehen«, sagte Hennequin ganz leise. »Und nehmen Sie mir die Binde ab. Das ist unerträglich.«
    »Du warst hier nicht eingeplant.«
    »Ich verrate kein Wort. Aber nehmen Sie mir diese Binde ab.«
    »Du weißt etwas und das bringt dich in Gefahr. Die Polizei der Deutschen knackt einen Körper so wie man Nüsse knackt, um die Geheimnisse zu entnehmen, die sich darin befinden. Deshalb darfst du nichts sehen, zu deiner eigenen Sicherheit.«
    Hennequin pinkelte und schiss sich in die Hose. Das stank zu sehr, man setzte ihn am Wegrand ab, leicht gefesselt, damit er eine Weile brauchte, ehe er sich befreien konnte. Der Lastwagen fuhr weiter, und die Jungen ließen den feuchten Platz frei, auf dem Hennequin gesessen hatte.
    Die Lastwagen ließen sie an der Stelle zurück, an der sich der Waldweg in einen zwischen den Bäumen hinaufführenden Pfad verwandelte. Sie kehrten ohne sie zurück ins Tal, von zweifelhaften Verwaltungstricks geschützt, die zu jener Zeit aber genügten.
    Sie nahmen eine Abkürzung quer durch den Wald, gingen immer geradeaus, stiegen in den Maquis. Sie liefen lange den Hang hinauf, bis schließlich der Himmel zwischen den Stämmen sichtbar wurde; die Steigung ließ allmählich nach, der Weg war nicht mehr so anstrengend, schließlich wurde das Gelände flach. Sie gelangten auf eine lange, von Baumgruppen gesäumte Wiese auf einem Hochplateau. Der magere Boden hallte unter ihren Füßen, stellenweise trat der Felsen in Form von großen bemoosten Steinen im Gras zutage, nicht sehr hohe, vom kargen Leben auf der Alm gekrümmte Buchen stützten sich auf sie.
    Die Jungen machten schwitzend halt, legten ihre großen Rucksäcke ab und ließen sich mit übertriebenem Stöhnen und lautem Seufzen ins Gras sinken. Ein schlanker, kräftiger Mann erwartete sie, auf einen Gehstock gestützt, in der Mitte der Wiese. Er trug um den Hals den Schal des nordafrikanischen Kolonialheers und auf dem Kopf, nach hinten geschoben, das himmelblaue Käppi der französischen Saharatruppen; er war mit einem Revolver bewaffnet, den er unvorschriftsmäßig vorn am Gürtel in einem Lederetui trug, was die mörderische Bestimmung der Waffe unterstrich. Er wurde als »Colonel« angesprochen. Für die meisten anwesenden Jungen war er der erste französische Soldat, dem sie begegneten, der nicht wie ein Feldhüter, ein Verwaltungsbeauftragter oder ein Pfandfinderleiter aussah; man konnte ihn mit jenen vergleichen, die die Straßensperren bewachten, jenen, die in vorbildlicher Haltung vor einer Kommandantur Wache hielten, oder jenen besorgniserregenden Männern, die in Gleiskettenfahrzeugen die Straßen entlangfuhren. Er war wie die Deutschen, ein moderner Krieger, hatte aber darüber hinaus jenen Hauch von französischer Eleganz, der ihnen wieder Mut machte. Er erfüllte ganz allein die Alm mit Leben; die abgehetzten Jungen waren von stummer Begeisterung erfüllt, sie lächelten und richteten sich einer nach dem anderen auf, als er sich näherte.
    Er kam mit lockeren Schritten auf sie zu, begrüßte alle Anführer, die er je nach Alter mit dem Dienstgrad Oberleutnant oder Hauptmann ansprach. Er richtete den Blick auf die Jungen und grüßte sie mit einem kurzen Kopfnicken. Er hielt eine kurze Begrüßungsrede, an deren Einzelheiten sich keiner von ihnen mehr erinnerte, aber die im Wesentlichen Folgendes besagte: »Sie sind hier; es ist der rechte Zeitpunkt. Sie sind genau dort, wo Sie zu diesem Zeitpunkt sein müssen.« Es ging etwas Beruhigendes von ihm aus, und er ließ auch etwas Platz für Träumereien; er stellte die Institution und zugleich das Abenteuer dar, sie spürten, dass mit ihm die Sache ernst

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