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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Magen, der Gedanke an eine gerade Linie bis ins Ziel, und es war getroffen; all das im selben Moment. Er freute sich darüber, dass er so gut schoss und gab das Gewehr mit einem breiten Lächeln zurück. »Es ist gut, zielsicher schießen zu können«, sagte der ausbildende Offizier. »Aber so kämpfen wir nicht.« Und er reichte das Gewehr dem nächsten Jungen, ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu widmen. Salagnon brauchte eine Weile, ehe er begriff. Im Kampf hat man nicht die Zeit, sich hinzulegen, zu zielen und zu schießen; zudem versteckt sich auch der Feind, zielt und schießt auf einen. Man schießt, so gut man kann. Zufall, Glück und Angst spielen die größte Rolle dabei. Das erweckte seine Lust zu zeichnen. Wenn er innerlich aufgewühlt war, kribbelte es in seinen Fingern. Die Atmosphäre des Maquis, in dem sie im Frühling von Krieg träumten, ließ seinen Fingern keine Ruhe. Er machte sich auf die Suche und fand Papier. Man hatte ihnen nachts Kisten mit Munition und Sprengstoff gesandt. Flugzeuge waren über ihr Lager geflogen, und die Jungen hatten in der Dunkelheit in gerader Linie mehrere Feuer angezündet; weiße Kronen hatten sich am schwarzen Himmel geöffnet, während sich das Geräusch der Flugzeuge schon entfernte. Sie mussten die in den Bäumen verfangenen Behälter wiederfinden, die Fallschirme entwirren und zusammenfalten, die Kisten in dem instand gesetzten Gebäude stapeln, die Feuer löschen, ehe sie erleichtert aufatmen und wieder das Zirpen der im Gras verborgenen Grillen hören konnten.
    Beim Öffnen einer Munitionskiste war Salagnon staunend auf braunes Papier gestoßen. Seine Finger hatten gezittert und ihm war kurzzeitig das Wasser im Mund zusammengelaufen. Die Gewehrpatronen lagen in grauen Pappschachteln, und diese waren in faseriges Papier gehüllt, weich wie Wildleder. Er wickelte die Schachteln aus, ohne etwas zu zerreißen. Er faltete jedes Blatt auseinander, glättete es und zerschnitt es an den Falten und erhielt so einen kleinen Stapel von der Größe zweier Handflächen, ein angenehmes Format. Roseval und Brioude, die mit der gleichen Aufgabe beauftragt waren, beobachteten seine manische Sorgfalt. Sie hatten die Patronenschachteln ohne Rücksicht ausgepackt und das Papier zerrissen, um es fürs Feuer aufzubewahren.
    »Darf man mal hören, was du da machst?«, fragte Brioude schließlich.
    »Ein Heft. Um zu zeichnen.«
    Sie lachten.
    »Glaubst du, dass es der rechte Zeitpunkt zum Zeichnen ist, mein Lieber? Ich habe meine Buntstifte und Bücher in der Schule gelassen. Damit will ich nichts mehr zu tun haben. Das ist vorbei. Und was willst du zeichnen?«
    »Euch.«
    »Uns?« Sie lachten noch lauter. Dann hielten sie inne. »Uns?«
    Salagnon machte sich ans Werk. Er hatte in einem Blechkästchen mehrere Conté-Bleistifte unterschiedlicher Härte. Er nahm sie heraus und spitzte sie mit dem Messer an. Von der Mine kratzte er nur das Notwendigste ab, bis sie spitz war. Roseval und Brioude warfen sich in Pose: Sie nahmen eine heroische Haltung ein, das Gesicht mit einer Vierteldrehung zur Seite gewandt, die Fäuste in die Hüften gestemmt; Brioude legte den Ellbogen auf die Schulter von Roseval, der das Bein in einer klassischen Pose um einen halben Schritt nach vorn setzte. Salagnon zeichnete sie; er arbeitete mit großem Vergnügen. Die Bleistifte hinterließen weiche Spuren auf dem dicken Packpapier. Als er fertig war, zeigte er es ihnen, und sie starrten die Zeichnung mit offenem Mund an. Von dem weichen Lehmgrund des Papiers hoben sich zwei schieferharte Gestalten ab. Man konnte sie wiedererkennen, und die Parodie der Heldenhaftigkeit, die zu verkörpern sie gemimt hatten, hatte all ihre Lächerlichkeit verloren: Sie waren zwei brüderliche Helden, die, ohne zu lachen und ohne lächerlich zu wirken, einen Schritt nach vorn machten, um auf die Zukunft einzuwirken.
    »Mach noch ein zweites«, sagte Brioude. »Eins für jeden.«
    Und dann packten sie die Kisten aus, ohne das Papier zu beschädigen. Salagnon nähte ein Heft zusammen und versah es mit einem Einband aus fester Pappe, die von einem aus Amerika geschickten Paket mit Verpflegungsrationen stammte; das übrige Papier behielt er als lose Blätter, um sie verschenken zu können.
    Ende Mai hatten Wiesen und Wälder sich vollends entfaltet. Die vom Licht gesättigten Pflanzen nahmen endlich den ganzen Platz ein, den sie einnehmen konnten. Ihr Grün würde sich nach und nach vereinheitlichen, die unendlich vielen Nuancen

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