Die Frau am Tor (German Edition)
Hamburg gestorben, bei dem er nach dem frühen Tod seiner Eltern aufgewachsen war, und hatte ihm einiges hinterlassen – angelegt in bemerkenswert sicheren Anleihen, denen weder das Desaster am Neuen Markt noch jetzt die jüngste Krise etwas hatten anhaben können. Obendrein bezog er inzwischen eine Rente, da ihm amtsärztlich bescheinigt worden, dass er nicht mehr arbeitsfähig war. Auch das war etwas, das Eva gelegentlich zum Anlass für ironische Bemerkungen nahm.
“ Ich bin mit einem Frührentner liiert”, pflegte sie dann zu sagen. Aber er nahm beides nicht weiter ernst, weder ihre Worte noch das, worauf sie anspielten. Er hatte seinerzeit beschlossen, seinen bis dahin häufig wechselnden Wohnsitz endgültig nach Berlin zu verlegen. Jemand von seinen Bekannten war der Ansicht gewesen, wenn er schon nicht mehr schreibe, könne er doch vielleicht wenigstens ein anderes Medium von seinen Erfahrungen profitieren lassen, von seinen Weltkenntnissen, seiner Urteilskraft, von seinem enormen Know-how und seiner Kompetenz in grundlegenden journalistischen Belangen.
Er hasste solche Schleimereien, hatte sich aber dennoch überreden lassen, bei der Firma „Realfilm“ in Potsdam vorbeizuschauen, die sich auf die Produktion von Dokumentarfilmen spezialisiert hatte, ursprünglich vorzugsweise zum Themenbereich Globalisierung unter soziologischen und ökologischen Aspekten. In letzter Zeit allerdings hatte sich das Betätigungsfeld, wie Evas etwas verlegenen Andeutungen zu entnehmen war, deutlich in Richtung weniger anspruchsvoller Beiträge für gewisse private Fernsehsender verschoben, die keinerlei Scheu davor hatten, auch solche Programme als Dokumentationen zu deklarieren, die einzig und allein der Befriedigung voyeuristischer Bedürfnisse dienten. Ihr gegenwärtiger Aufenthalt in Köln stand im Zusammenhang diesen neuen Aktivitäten, von denen sie nicht eben begeistert war und die sie allein damit rechtfertigte, dass sie sich gut bezahlt machten.
Der Besuch bei der Firma “Realfilm” erwies sich damals als genauso unergiebig, wie er erwartet hatte – ausgenommen höchstens den Umstand, dass es dort eine attraktive Aufnahmeleiterin gab, die Eva Uhlenbrock hieß, sechzehn Jahre jünger war als er, entfernte Ähnlichkeit mit Sharon Stone in jüngeren Jahren besaß und von Beginn wenig Hehl daraus machte, dass sie von Robert Kessler fasziniert war. Es war vor allem ihr Überschwang gewesen, mit dem sie ihn erobert hatte, ihr Mangel an Bedenken und Befangenheit, ihr Talent zur Begeisterung, die natürlich in erster Linie ihm galt, aber auch vielem anderen, sofern es nur neu war. Und selbstverständlich war er geschmeichelt gewesen, allein schon wegen ihres Aussehens und ihrer Jugend.
Davon abgesehen war es ihm aber auch in gewisser Weise logisch erschienen, nach all der Zeit der Unstete auch diesbezüglich eine gewisse Festlegung zu treffen. Sie hatte ihm auf den Kopf zugesagt, dass sie ihn für völlig bindungsunfähig hielt – wohl um sich selbst schon einmal präventiv den Lorbeer dafür zu sichern, dass sie es gewesen war und niemand sonst, die ihn bezwungen hatte, aber auch, um ihn damit zu einem sozusagen dauerhaft gelebten Dementi zu inspirieren. Aber sie hatte ja recht gehabt. Es hatte nie eine festere Bindung für ihn gegeben, nur eine lose Folge unregelmäßiger, mehr oder minder kurzer Begegnungen.
Und richtig fest, so, dass man darauf hätte schwören mögen, es würde ewig halten, wurde auch sein Verhältnis zu Eva Uhlenbrock nicht. Sie behielten jeweils ihre eigenen Wohnungen, sie ihre in Potsdam, er seine in Berlin, und besuchten sich wechselseitig, immer nur für ein oder zwei Tage und Nächte, wobei die Zeiten bei ihm deutlich überwogen, weil er, wie sie immer betonte, die schönere, größere, komfortablere Wohnung besaß. Er war heilfroh, dass er sie zu diesem Arrangement nicht groß hatte überreden müssen, da sie selbst großen Wert auf ein bestimmtes Maß an Eigenständigkeit legte.
Und je länger es ging, umso größer war seine Erleichterung, dass sie es so und nicht anders geregelt hatten. Denn er musste nach einer Weile feststellen, dass ihre Art auch ziemlich anstrengend sein konnte. Ständig war sie irgendwie auf dem Sprung, hatte dieses und jenes vor und geplant, von dem er keineswegs immer sicher war, dass es lohne, damit seine Zeit zu vertun. Und ein wenig zu oft für seinen Geschmack verwendete sie solche Vokabeln wie Projekt, Location, Kreativität, Event, Authentizität –
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