Die Frau am Tor (German Edition)
legte sie mit auf den Tisch in der Küche, wo sie zu frühstücken pflegten. Sie aßen beide morgens nicht sehr viel und es lohnte nicht, deswegen den Tisch im Wohnzimmer zu decken. Außerdem war die Küche geräumig genug, so wie viele Küchen in den alten, großzügig dimensionierten Wohnungen. Während er Toast, Quark und Honig auf den Tisch stellte, ging ihm die Frage durch den Kopf, wie lange es wohl dauern würde, bis die Polizei dahinter käme, welcher Name zu dem unbekannten toten Mann gehörte.
Eva blätterte die Zeitung einmal durch und legte sie weg. Sie interessierte sich nicht besonders für das, was darin stand, höchstens für die Veranstaltungsrubriken, doch ihr Programm für diesen Tag stand ohnehin längst fest. Als erstes fuhren sie zum Martin-Gropius-Bau, um sich die Bilder von Frieda Kahlo anzusehen, die dort nur noch für kurze Zeit in einer viel gerühmten Ausstellung gezeigt wurden. Eva selbst musste jedoch zugeben, dass dies “keine wirklich gute Idee” gewesen war, denn sie mussten bei brütender Hitze beinahe zwei Stunden um Karten anstehen, um sich anschließend als passive Bestandteile einer dichtgedrängten, schiebenden Masse wiederzufinden. Danach flüchteten sie erschöpft und leicht frustriert ins Cafè Einstein an der Kurfürstenstraße, ihrer beider Lieblingscafé, wo sie draußen im schattigen Garten Kaffee tranken und von der berühmten Sachertorte aßen und zu dem Schluss gelangten, dass es gut wäre, auf einen Sprung nach Hause zu fahren, um zu duschen und frisches Zeug anzuziehen.
Als sie von dort wieder aufbrachen, um zum Kino-Center am Potsdamer Platz zu fahren – Eva wollte unbedingt in den neuen Film mit Leonardo di Caprio, “Inception” - , kam ihnen nach wenigen Metern in der Grünewaldstraße ein silbergrauer BMW-Kombi entgegen. Am Steuer saß eine junge Frau mit schulterlangem dunklem Haar, in das sie ihre Sonnenbrille hinaufgeschoben hatte.
Er war sich nicht hundertprozentig sicher, dass sie es war, aber zu neunzig Prozent war er es doch. Der Wagen rollte ziemlich langsam an ihnen vorbei, und allein der Umstand, dass die Fahrerin nicht zu ihnen herüber blickte, sodass er ihr Gesicht nicht richtig erkennen konnte, machte die fehlenden zehn Prozent aus. Letzten Ende zählten aber auch die nicht, dazu hatte sie zu angestrengt geradeaus geschaut.
Nachdem der Film zu Ende war, äußerte Eva sich überschwänglich und wollte wissen, wie er ihn gefunden habe. Aber er hatte kaum etwas davon mitbekommen, weil vor seiner inneren Leinwand ein anderer Film abgelaufen war, einer, der wieder und wieder abgespult wurde, ohne dass er viel dagegen tun konnte, mit Bildern und Szenen, die leider nicht fiktional waren. Er musste sich zusammenreißen, um sich nichts anmerken zu lassen, und bestätigte Evas Urteil, jedoch so beiläufig und desinteressiert, dass sie ihn kopfschüttelnd anschaute.
Da Eva am nächsten Morgen, wie immer, schon früh los musste, fuhren sie gleich nach Hause und gingen sie zeitig zu Bett. Fast schon im Halbschlaf, rückte sie näher an ihn heran und tastete nach ihm und er ging darauf ein.
Doch es wurde ein Fehlschlag. Er versagte.
“ Macht nichts, nicht so tragisch, so etwas kann vorkommen”, murmelte sie und wälzte sich auf ihre Seite.
In der Nacht wurde er von einem Donnerschlag aus dem Schlaf gerissen. Durch die Schlitze der nicht ganz heruntergelassenen Rollläden zuckten Blitze. Er stieg aus dem Bett, riss die Fenster auf und zog die Läden hoch, um endlich die ersehnte Kühle hereinzulassen. Doch die prasselnden Tropfen schienen gleich wieder zu verdunsten, was zur Folge hatte, dass die Luft nicht nur stickig blieb, sondern zusätzlich auch noch unangenehm feucht wurde. Weitere Donnerschläge folgten, die förmlich das Haus erbeben ließen. Eva bekam von all dem erstaunlicherweise nichts mit, sie schlief tief und fest weiter.
Er taumelte in die Küche und trank hintereinander zwei Glas Wasser, sah auf die Uhr, stellte fest, dass es kurz nach vier war und konnte sich nicht überwinden, wieder ins Bett zu gehen. Stattdessen wechselte er in sein Arbeitszimmer. Er versuchte zu lesen, griff sich „Die Demütigung“ von Philip Roth aus dem Regal, einem Schriftsteller, den er sehr schätzte, und warf sich in seinen Lesesessel. Es kam ihm vor, als sei es eine Ewigkeit her, dass er mit der Lektüre begonnen hatte, und er konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie weit er bisher gekommen war, obschon es erst wenige Tage her sein musste, dass er
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