Die Frau am Tor (German Edition)
ihr Gesicht überzog. Beinahe hätte er gesagt, dass sie ihn an die Bilder von Frieda Kahlo erinnerten, was nicht einmal eine glatte Lüge, aber doch unglaubwürdig gewesen wäre, weil es zu eindeutig nach einem Kompliment aus reiner Gefälligkeit geklungen hätte.
“ Wirklich?”
“ Ja, wirklich.”
“ Ich versuche auch ein bisschen zu schreiben. Aber ich tue mich schwer damit, viel schwerer als mit dem Malen”, sagte sie, und die Röte nahm um eine Spur zu. “Sie würden wahrscheinlich lachen, wenn Sie es läsen.”
“ Wieso denken Sie das?”
“ Na ja, ich habe zwischenzeitlich ein wenig gegoogelt und mich über Sie schlau gemacht. Ich weiß jetzt, wer Robert Kessler ist. Verwechselung ausgeschlossen. Bei einigen Artikeln war nämlich ein Foto von Ihnen mit dabei. Ich habe alles gelesen.”
“ Das wage ich zu bezweifeln”, entgegnete er. “Es ist längst nicht alles digitalisiert. Das meiste habe ich geschrieben, lange bevor es das Internet gab.”
“ Jedenfalls bin ich sehr beeindruckt”, sagte sie und schaute ihn so intensiv an, dass er ihrem Blick auswich, jetzt seinerseits verlegen.
Sie saßen schweigend da, ließen einige Zeit verstreichen, knapp an der Linie, hinter der die Verlegenheit begann. Mit einem Ruck stand er auf und griff nach seinem Jackett.
“ Ich muss dann mal wieder los.”
“ Schon?”, kam es klagend zurück.
“ Ja, leider, ich muss, und wie gesagt, bleiben Sie ruhig, es wird schon nichts geschehen.”
“ Darf ich Sie denn wenigstens wieder anrufen, falls etwas sein sollte, ich meine, wenn irgendetwas passiert?”, fragte sie zaghaft, während sie ihn zur Tür begleitete.
“ Tun Sie das, aber wundern Sie sich nicht, wenn ich einfach wieder auflegen sollte. Das bedeutet dann nur, dass ich gerade nicht allein bin und daher nicht reden kann.”
Sie nickte und blickte ihm dabei voll ins Gesicht. Dann drängte sich abermals an ihn, aber nicht wie vorhin, sondern diesmal so eng, dass er ihren ganzen warmen, zugleich weichen und straffen Körper an seinem spürte. Und dann küsste sie ihn.
8.
Der Dienstag verging, ohne dass er etwas von ihr hörte.
Eva rief zwei Mal an, und beide Male fragte sie ihn, wie schon vor Tagen bei ihrem Telefonat von Köln aus, was eigentlich mit ihm sei, er wirke “irgendwie merkwürdig”. Er bestritt das und tat so, als könne er mit diesem Eindruck aber nun gar nichts anfangen. Doch zugleich war er sich klar darüber, dass er Eva gegenüber vorsichtig sein und alles vermeiden musste, was ihr Misstrauen – in welche Richtung auch immer - wecken könnte. Seine Lage war ja nun wirklich heikel genug, und da war Beziehungsstress mit seiner womöglich misstrauischen Freundin so ungefähr das Letzte, was er noch brauchte.
Da sich das Wetter nicht mehr als Ursache etwaiger Müdigkeit vorschieben ließ – die Temperaturen waren nun deutlich angenehmer geworden – räumte er aber ein, womöglich ein wenig in Gedanken zu sein. Ihm gehe momentan vieles durch den Kopf, denn er trage sich mit der, wenn auch vorläufig noch unausgereiften, Idee, ein neues Buch zu schreiben. Er habe den Eindruck, dass er dazu allmählich wieder in der Lage sei, und schließlich gebe es noch so manches, über das er schreiben könne. Diese Ausrede war ihm spontan in den Sinn gekommen, aber kaum, dass er sie geäußert hatte, war er sich schon nicht mehr so sicher, ob sie wirklich klug war.
Eva horchte sogleich auf und wollte Genaueres wissen, doch er wehrte ab: so weit sei er noch nicht. Damit gab sie sich zufrieden, lobte seinen Entschluss und fragte ihn, ob er Lust habe, am nächsten Tag mit ihr essen zu gehen. Sie habe am Nachmittag zwischendurch ungefähr zwei Stunden Zeit, und es wäre schön, wenn er nach Potsdam kommen könne; es gebe dort ein neues thailändisches Restaurant, das von den Kollegen wärmstens empfohlen werde. Er sagte zu, das werde sich wohl einrichten lassen.
Als er am Mittwochmorgen die Zeitung durchblätterte, stieß er im Lokalteil wieder auf das Foto von Oliver Rensing. Diesmal stand es auf der ersten Seite, eingeblockt in einen etwas längeren, zweispaltigen Text unter der Überschrift: “Toter im Grunewald identifiziert – Racheakt im Spielermilieu?” In dem Bericht hieß es, jemand aus dem Bekanntenkreis des Getöteten habe sich bei der Polizei gemeldet und den entscheidenden Hinweis gegeben. Hinsichtlich der Täterschaft, des Tatorts und des Motivs tappe die Mordkommission zwar noch im Dunkeln, es bestehe aber der Verdacht,
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