Die Frau an Seiner Seite
Hannelore war es die allerbeste Investition zur rechten Zeit, am richtigen Ort und ganz nach ihrem Geschmack. Zügig kümmerte sie sich um die Inneneinrichtung, ließ einige Möbel und Geschirr aus Ludwigshafen nach Berlin transportieren und kaufte den Rest in der deutschen Hauptstadt dazu. Mit dem Bezug ihrer Zweitwohnung in der Caspar-Theysz-Straße 20 erfüllte sich Hannelore einen lang gehegten Traum. Sie liebte die Berliner Großstadtatmosphäre und genoss das quirlige Leben in der Hauptstadt.
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Wenige Wochen vor seiner Abwahl bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 schrieb ich dem Bundeskanzler einen Brief. Darin erläuterte ich ihm meine Absicht, anlässlich seines 70. Geburtstags im Jahr 2000 ein Buch über ihn zu schreiben und bat um ausführliche Gespräche. Kohl reagierte umgehend und lud mich zu einem ersten Treffen ein. Weitere Gespräche sollten nach der Bundestagswahl folgen. Bei dieser Begegnung hatte ich ihn ermuntert, eines Tages selbst seine Memoiren zu schreiben.
Nach der schweren Wahlniederlage hatte sich die Lage verändert. Der Altkanzler entschied sich sehr rasch, seine Erinnerungen aufzuschreiben und bat mich, ihn gemeinsam mit einem kleinen Team von Wissenschaftlern und Publizisten dabei zu unterstützen. Ab Mitte 1999 fuhr ich an so manchem Wochenende nach Ludwigshafen oder traf mich mit ihm und seinen Mitarbeitern in Berlin.
Nach dem Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin-Mitte im Juli 1999 wurden dem Altkanzler großzügige Büroräume in der vierten Etage eines generalrenovierten Gebäudes zugewiesen, in dem früher einmal Volksbildungsministerin Margot Honecker residiert hatte. Kohls Vertraute Juliane Weber kam ebenso mit nach Berlin wie Büroleiter Michael Roik. Außerdem gesellte sich ein zweiter Mann hinzu, der sich seine Sporen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung erworben hatte. Der Politologe Lutz Stroppe wurde nach kurzer Einarbeitung zu einem unentbehrlichen Helfer.
Der mittlerweile zum parlamentarischen Hinterbänkler mutierte Kanzler der Einheit behielt in Berlin die Fäden in der Hand und genoss seinen Status als einfacher Bundestagsabgeordneter. Sein Terminkalender war prall gefüllt, Politik war und blieb sein Lebenselixier. Kohl empfing regelmäßig Weggefährten aus Bund und Ländern und nahm die vielen nationalen und internationalen Auszeichnungen, die ihm für seine Verdienste verliehen wurden, stolz entgegen. Der CDU-Ehrenvorsitzende zeigte wenig Präsenz in den Spitzengremien seiner Partei und meldete sich auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion höchst selten zu Wort. Aber bei Wahlkampfauftritten war er wieder ganz in seinem Element. So warb er in altbekannter Manier für die Politik der CDU bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und bei den Wahlen für das Berliner Abgeordnetenhaus. Als ob es den Rücktritt vom Parteivorsitz nicht gegeben hätte, gab er wie in alten Zeiten die Wahllokomotive der CDU/CSU. Er brauchte offensichtlich die große politische Bühne, um zu Bestform aufzulaufen – auch wenn Hannelore gesundheitsbedingt nicht mehr an seiner Seite war.
Als Michail Gorbatschows todkranke Frau Raissa sich in der Universitätsklinik in Münster aufhielt, kümmerte sich der Altkanzler um sie. Nachdem sie mit 67 Jahren an den Folgen einer schweren Leukämie gestorben war, reiste er ohne Hannelore zu Raissas Beisetzung nach Moskau und würdigte die Verstorbene in einer kurzen Ansprache am offenen Sarg.
Der »Elder Statesman« zelebrierte hochrangige Treffen am Regierungssitz Berlin und empfing nach wie vor die Großen der Welt, unternahm Reisen unter anderem nach China und Israel. Einen Tag nach seiner Rückkehr aus dem Nahen Osten meldeten die Nachrichtenagenturen, das Amtsgericht Augsburg habe Haftbefehl gegen den ehemaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep erlassen. Er werde verdächtigt, 1991 eine Million D-Mark an Spendengeldern von Karlheinz Schreiber, einem umstrittenen Waffenhändler, erhalten und nicht versteuert zu haben. Hannelore, die gerade ihre Ludwigshafener Freundin Annelie Wiß in Berlin zu Besuch hatte, erfuhr beim gemeinsamen Frühstück in der neuen Wohnung vom Haftbefehl gegen den CDU-Spitzenpolitiker. Ihr Fahrer Josef Rink hatte die schlechte Nachricht überbracht. Die Gattin des Altkanzlers war geschockt. Als ZNS-Präsidentin wusste sie nur zu genau, wie wichtig es war, Spendengelder ordnungsgemäß zu verbuchen. Sie erzählte mir, dass ihr sofort die Frage durch den
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