Die Frau an Seiner Seite
Stammbetrieben der HASAG wurden in großem Umfang jüdische KZ-Häftlinge eingesetzt. Fast zwei Drittel von ihnen waren Frauen. Sie produzierten in den letzten Kriegsjahren vorrangig die Panzerfaust. Mit der 1944 einsetzenden Evakuierung der Betriebe in Polen und der Übernahme der deutschen HASAG-Lager durch das KZ Buchenwald begann das letzte Kapitel in der Leidensgeschichte dieser Menschen. Von den ungefähr 22 000 KZ-Häftlingen, die bis zum Ende des Krieges die deutschen Lager der Firma HASAG passierten, wurden nach neuesten Erkenntnissen 20 bis 30 Prozent ermordet. Insgesamt arbeiteten in den deutschen und polnischen Betrieben des HASAG-Konzerns mindestens 60 000 KZ-Häftlinge und sogenannte »Arbeitsjuden«. Das waren mehr als bei der mächtigen IG Farben. Gesichert ist nach jüngsten Forschungsarbeiten auch, dass 32 000 dieser Frauen und Männer starben: am Arbeitsplatz, im Lager, durch Erschießungen im Anschluss an »Selektionen« oder – nach der Evakuierung der Lager – auf den Todesmärschen. Forscher haben festgestellt, dass sowohl qualitativ als auch quantitativ die HASAG dasjenige Unternehmen war, das stärker als alle anderen privatwirtschaftlichen Betriebe den skrupellosen Einsatz und Mord von KZ-Häftlingen und »Arbeitsjuden« betrieb. Während die Verantwortung für die KZ-Außenstellen ausschließlich bei der SS lag, waren Unterbringung und Verpflegung der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiterinnen ausschließlich Angelegenheit des HASAG-Konzerns. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war Wilhelm Renner in seiner Eigenschaft als Direktor für Soziales daran wesentlich beteiligt. Zumal er als rechte Hand des »Sonderbeauftragten in der Zwangsarbeiterrekrutierung«, Paul Budin, fungierte. Diese Verstrickung war ein Grund dafür, dass Renner nach dem Krieg gesucht wurde – weil er in seiner Funktion »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« begangen haben soll.
Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP und es gibt keine Belege dafür, dass sich Hannelores Vater vom völkisch-rassistischen Antisemitismus seiner Partei in irgendeiner Weise distanziert hätte. Für den engagierten Parteigenossen war es, dies wohl als weiteres Zeichen für seine Parteitreue, eine Selbstverständlichkeit, sich trotz seiner begrenzten freien Zeit als »Blockleiter z.b.V« (zur besonderen Verwendung) zur Verfügung zu stellen. Im allgemeinen Sprachgebrauch setzte sich die Bezeichnung »Blockwart« durch. Er stand am unteren Ende der Hierarchie von nationalsozialistischen Parteifunktionären und war für 40 bis 60 Haushalte mit durchschnittlich rund 170 Personen zuständig. Der Blockwart musste seine arische Abstammung bis 1800 nachweisen und wurde auf Adolf Hitler vereidigt. Bei dienstlichen Anlässen hatte er Uniform zu tragen und war zu einem »vorbildlichen Verhalten« auch im Privatleben angehalten. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte die Propaganda für die nationalsozialistische Ideologie und die Durchsetzung der Rassenpolitik – etwa durch die Auflistung jüdischen Besitzes und jüdischer Wohnungen. Zur politischen Überwachung führte er eine normierte Haushaltskartei, notierte Unmutsäußerungen und das Verhalten bei Beflaggung, fertigte Leumundszeugnisse an und zählte zu den allgegenwärtigen Ansprechpartnern für Denunzianten. Der Blockwart vermerkte, seit wann der Völkische Beobachter bezogen wurde, ob die Familie eine Hakenkreuzfahne besaß und welches Rundfunkgerät im Haushalt vorhanden war. Auch wenn die Blockwarte im Volksmund als »Treppenterrier« bezeichnet wurden und kein besonders hohes Ansehen genossen, waren sie aufgrund ihrer Macht und ihrer Überwachungsmethoden gefürchtet.
Zu Parteidiensten wie diesem hatte Wilhelm Renner niemand gezwungen. Er widmete sich diesen Aufgaben allem Anschein nach freiwillig und aus Überzeugung, fühlte sich als Angehöriger der Funktionärselite und als herausgehobenes Mitglied der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Wilhelm Renner dürfte mit vielen Zielen des NS-Regimes einverstanden gewesen sein. Auch sein Engagement als Mitglied im »Nationalsozialistischen Fliegerkorps« (NSFK) und im »Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps« (NSKK) legt davon Zeugnis ab. Letzteres war eine paramilitärische Organisation der NSDAP und hatte eigene Dienstgrade, die denen der SA ähnelten. Der sportbegeisterte Autonarr brachte es zum NSKK-Sturmführer. Dem Kraftfahrkorps oblag die Verkehrserziehung der Kraftfahrer und der Jugend, und es arbeitete auch als
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