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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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dass nur die wenigsten diesen Raum hatten. Nicht während des Krieges und auch nicht hinterher, als alle Kraft dem Wiederaufbau galt. Die Generation der Kriegskinder wurde mit ihren traumatischen Erlebnissen weitgehend alleine gelassen. Eine psychologische Begleitung, wie sie heute Hinterbliebenen oder Einsatzkräften bei einer Großkatastrophe zur Verfügung steht, gab es nicht.
    Hannelore hat sich mir gegenüber nicht dazu geäußert, welche Seelenqualen diese Hilfsdienste auf dem Bahnhof Döbeln in ihr ausgelöst haben. Dass sie damit heillos überfordert war, steht für mich dennoch außer Frage. Man weiß von erwachsenen Hilfskräften und Feuerwehrleuten, dass gerade die Beseitigung von Leichen, vor allem von Kinderleichen, eine extreme Belastung darstellt. Wenn ein Kind solchen Belastungen ausgesetzt ist, besteht die Gefahr, dass es jeden inneren Halt verliert.
    Wenn Hannelores Mutter in dieser Situation eine Halt gebende Person war, konnte die Tochter diese einschneidenden Erlebnisse möglicherweise gut verarbeiten. Wenn man aber an die Distanziertheit von Irene Renner denkt, an das beständige Einfordern von Härte gegen sich selbst und andere, scheint es eher unwahrscheinlich, dass sie ihr Kind in diesen Momenten sensibel auffing. Auch wenn es spekulativ sein mag, bin ich überzeugt davon, dass Hannelore damals schon die Erfahrung machen musste, dass man Traumata besser wegdrückt, im Dunkeln lässt und kein Licht in die eigene Gefühlswelt hineinbringt.
VERSTRICKUNGEN
    Gerade in dieser schwierigen Lebenslage sehnte sich Hannelore sicherlich mehr als je zuvor nach ihrem Vater. Mutter und Tochter pendelten jedenfalls so oft es ging zwischen Döbeln und Leipzig und nutzten jede Gelegenheit – und sei es auch nur für wenige Minuten –, Wilhelm Renner zu sehen. Je seltener der geliebte Mensch wegen seiner hochbrisanten beruflichen Verpflichtungen verfügbar war, umso wunderbarer war es für die Elfjährige, wenn er einmal Zeit für sie hatte. Zu ihrem großen Schmerz wurden die Begegnungen im weiteren Verlauf des Krieges immer weniger, nach dem verheerenden Bombardement auf die Elbmetropole in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 kamen sie ganz zum Erliegen. Im »Feuersturm« von Dresden kamen 25 000 Menschen ums Leben. Nur fünf Tage vorher hatten Hannelore und ihre Mutter Freunde in der Stadt besucht.
    Der HASAG-Direktor kämpfte um die Aufrechterhaltung der Betriebsordnung und die Sicherung der mit Hochdruck betriebenen Panzerfaustproduktion. Das Leipziger Rüstungsunternehmen hatte sich an die Bedingungen des Dauerkrieges angepasst. Die Maschinen der HASAG liefen rund um die Uhr. Ende 1942 war die erste Panzerfaust im Stammwerk entwickelt worden. Wilhelm Renner hatte daran keinen geringen Anteil. Er war zwar nicht der Erfinder der Panzerfaust, aber bei der Entwicklung ein wichtiger Ratgeber der Ingenieure. Adolf Hitler selbst hatte im Sommer 1944 eine »Schnellaktion Panzerfaust« angeordnet und dieser absoluten Vorrang eingeräumt. Das HASAG-Direktorium schaffte es in einem gewaltigen Kraftakt, innerhalb weniger Monate den Ausstoß an Panzerfäusten um das Dreifache zu erhöhen. Der nationalsozialistische Vorzeigebetrieb gehörte 1944 mit 64 000 Arbeitern – darunter 40 000 Ausländern – zu den bedeutendsten Rüstungsunternehmen Deutschlands.
    Die Geschichte der HASAG, von den Leipziger Wissenschaftlern Mustafa Haikal und Klaus Hesse mittlerweile gut erforscht, ist unlösbar mit dem Schicksal einer großen Zahl von Zwangsarbeitern verbunden. Das Unternehmen beschäftigte nach jüngsten Erkenntnissen Frauen und Männer aus zwölf Nationen. Es war die SS-Führung, die wegen des starken Mangels an Arbeitskräften die Idee entwickelt hatte, Millionen von Juden vor ihrer Ermordung in der Rüstungsindustrie einzusetzen. Das geschah zunächst in den Rüstungsfabriken der HASAG im »Generalgouvernement«, dem besetzten Polen. In aller Eile wurden polnische Juden auf dem dortigen Werksgelände interniert. Schwangere oder nicht mehr arbeitsfähige Personen wurden an Ort und Stelle erschossen. Die meisten der Betroffenen waren nach drei Monaten physisch und psychisch am Ende und wurden bei regelmäßig stattfindenden Massenerschießungen durch den SS-Werksschutz »eliminiert«. Die Ermordung Tausender Menschen durch den SS-Werkschutz und die unmenschliche Praxis der Lagerführung im besetzten Polen sind in der Doktorarbeit von Felicja Karay dokumentiert. Auch in den sächsischen und thüringischen

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