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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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über den Empfang der Konfirmation erbringen musste. Irene Renner versicherte bei einem Besuch im Pfarrhaus Pfarrer Bähr auf Treu und Glauben im Beisein ihrer Tochter, diese sei sehr wohl konfirmiert. Vermutlich eine glatte Lüge, Belege für eine Konfirmation gibt es nicht. Der seit 1937 in Mutterstadt tätige Pfarrer, ein Mann des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, der wegen seiner »Judenfreundlichkeit und Widerständigkeit gegen das System« nach der Kristallnacht 1938 ins Gefängnis kam und später erheblichen Repressalien ausgesetzt war, wusste vom Kirchenaustritt der Familie Renner. Er hatte einst persönlich die Evangelische Kirche der Pfalz in Speyer darüber in Kenntnis gesetzt. Johannes Bähr mochte Hannelores Vater nicht und fand nur sarkastische Worte für ihn, weil dieser unverdrossen an seiner NS-Ideologie festhielt und als unverbesserlicher Gegner des Protestantismus galt. Hannelore begegnete er hingegen mit Mitgefühl. Ob er Irenes Version vom Empfang der Konfirmation tatsächlich glaubte, oder nur hoffte, ein verlorenes Schäfchen für die Kirche zurückgewinnen zu können, bleibt ungewiss. Jedenfalls beglaubigte er mit Stempel und Unterschrift die Urkunde für Hannelores Patenschaftsübernahme.
    Wenn Hannelore, wofür vieles spricht, nie konfirmiert wurde, war es die auch sonst sehr bestimmende Mutter, die von ihrer Tochter Stillschweigen einforderte, wenn nicht gar zur Lüge animierte. Für den erfahrenen Pfarrer stand die Seelsorge im Mittelpunkt seiner Entscheidung, und er hoffte damit auf eine vorsichtige Einbindung der beiden in die kirchliche Gemeinde. Tatsächlich wurden Mutter und Tochter hin und wieder in der Kirche gesehen, während Vater Renner bis zu seinem Tod kein Gotteshaus betrat. Konsequenterweise legte er auf eine kirchliche Beisetzung keinen Wert.
    * * *
    Auch für Hannelore muss es eine ganz besondere Erleichterung gewesen sein, als ihr arbeitsloser Vater endlich eine vielversprechende Position angeboten bekam. Mit der Festanstellung in einem erfolgreichen Unternehmen erfüllte sich für den Pfälzer ein lang gehegter Traum im Nachkriegsdeutschland. Allerdings musste er in den sauren Apfel beißen, seine geliebte Heimat zu verlassen und nach Ulm ziehen. Hier übernahm Wilhelm Renner zum 1. Mai 1950 einen Posten als Direktor bei der Herrenwäschefabrik Mey & Edlich. Möglicherweise halfen dabei verwandtschaftliche Beziehungen. Schließlich stammte Irene Renners Mutter aus diesem einst sächsischen Unternehmen und ehedem ältesten Versandhaus des Landes. Nach den Jahren der Gelegenheitsarbeit, der Arbeitslosigkeit, des Nicht-Gebraucht-Werdens, des tiefen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Falls brach nun eine neue Zeit an. Wilhelm Renner wurde sogar Mitglied der Geschäftsleitung und war – wie sein Enkel Peter Kohl berichtet – für alle technischen Angelegenheiten der Fabrikation sowie für die technische Beratung in allen Handels- und Exportbelangen der »Mey & Edlich, Betriebsstätten West« verantwortlich.
    Wie prekär die finanziellen Verhältnisse der Familie auch noch zu Anfang der Fünfzigerjahre waren, belegt die Tatsache, dass sich Wilhelm alleine nach Ulm an der Donau begab und dort in das Notquartier für ausgebombte Ulmer Bürger, Flüchtlinge und Vertriebene einzog. Es war die berühmte Wilhelmsburg, von 1842 bis 1849 als Reduit der Zitadelle der Festung Ulm erbaut, später kaiserliche Kaserne, von der Reichswehr belegt, gegen Ende des Krieges von polnischen Zwangsarbeitern bewohnt und heute ein Bundeswehr-Standort. Nach dem Krieg wurde die Wilhelmsburg zum Flüchtlingslager mit eigenem Laden, einer Poststelle und einer Schule. Zeitweise lebten hier über 3000 Menschen. Wilhelm war sehr beengt untergebracht, die Räume wurden in der Regel mit mehreren Personen belegt. Für den ehemaligen HASAG-Direktor eine Zumutung und im Vergleich zu den Wohnverhältnissen in Mutterstadt ein neuerlicher Abstieg. Doch Renner biss sich durch und verfolgte konsequent das Ziel, beruflich und materiell so abgesichert zu sein, um seine Familie ernähren zu können.
    Als die Firma Mey & Edlich Teile ihrer Produktionsstätten von Ulm nach Leinfelden verlegte, ging Wilhelms Zeit im Notquartier zu Ende. Endlich konnte er nach monatelanger Trennung seine Familie zu sich holen. Ganz in der Nähe seines Arbeitsplatzes richteten sich die Renners in einer Zweizimmerwohnung in der Mörikestraße ein. Und schon wurde auch für sie ein Stück Wirtschaftswunder Wirklichkeit: Die

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