Die Frau an Seiner Seite
Seite, rutschte nach oben oder unten, sondern blieb bis zum Aufstehen wie erstarrt auf dem Rücken liegen.
Mit dem Umzug vom Mutterstädter Neuweg 2 in die Friedensstraße 31 am 15. Juni 1949 verbesserten sich wenigstens die Wohnverhältnisse. Mit zwei Zimmern, Küche und Bad war die dreiköpfige Flüchtlingsfamilie besser gestellt als manch anderer. Ein eigenes Bad benutzen zu können, empfand Hannelore damals als ausgesprochenen Luxus. Die Versorgungslage blieb indes schwierig. Die Lebensmittelzuteilungen waren gering und betrugen 1948 in der Pfalz 1850 Kalorien pro Kopf: 300 Gramm Brot, 20 Gramm Fett, 26 Gramm Fleisch und 35 Gramm Zucker. Dürftig war auch die Kleidung, die meist aus gebrauchten Stücken geschneidert wurde. Miserabel war die Versorgung mit Schuhwerk. Es gab Zeiten, da musste sie sich drei Jahre lang mit den gleichen billigen Gummischuhen begnügen, die für ein heranwachsendes Mädchen zur Qual werden konnten.
Mit der Währungsreform vom Juni 1948 verbesserte sich auch für die Renners die Lebensqualität. Der unkontrollierte Tauschhandel, das Feilschen um Güter des einfachsten Bedarfs hatten ein Ende. Geldwert und Kaufkraft stiegen allmählich, sodass sich auch das zur Sparsamkeit und Genügsamkeit erzogene Flüchtlingskind häufiger Kino- oder Schwimmbadbesuche leisten konnte. Ein weiterer Lichtblick waren die Übernachtungen bei ihrer Ludwigshafener Klassenkameradin Annegret. Die letzte Bahn nach Mutterstadt fuhr gegen 18:00 Uhr. Und wann immer besondere Anlässe wie Theater- oder Konzertbesuche anstanden, später auch der Tanzkurs, konnte Hannelore im Haus der Eltern ihrer Freundin Quartier beziehen. Die Freundschaft zwischen Annegret und Hannelore resultierte nicht zuletzt aus ähnlichen Schicksalen der Eltern. Annegrets Vater war Chemiker, politisch belastet und zeitweise mit einem Berufsverbot belegt gewesen. Es waren Annegrets Eltern, die den Renners eine erste bescheidene Grundausstattung an Möbeln überlassen hatten – eine Hilfestellung, die Hannelore nie vergaß.
Die beiden Mädchen wurden mit der Zeit ein eingespieltes, vertrautes Team, vor allem, wenn es um ihr großes Ziel ging: das Erreichen des Abiturs. In der französischen Besatzungszone war das Zentralabitur Pflicht bis zum Abitur-Jahrgang 1951. Doch bevor es zur Abiturprüfung und der feierlichen Übergabe der Zeugnisse kam, musste Hannelore eine schwere Hürde nehmen. Wer zum Abitur zugelassen werden wollte, musste das 18. Lebensjahr erreicht haben. Diese Voraussetzung fehlte der Siebzehnjährigen. Zum Glück hatte die Jüngste der 20 Schülerinnen zählenden Abiturklasse des Jahrgangs 1951 einflussreiche Befürworter im Lehrerkollegium und erreichte schließlich die Zulassung. Nachdem im Dezember 1950 die Anmeldung erfolgt war, konzentrierte Hannelore ihre ganze Kraft darauf, die Leistungen zu erbringen, die von ihren älteren Klassenkameradinnen gefordert wurden. Dank der ausführlichen Tagebucheintragungen von Mutter Irene, die Peter Kohl in seinem Buch zitiert, ist das Thema der schriftlichen Prüfung in Deutsch bekannt. Aus den zur Auswahl stehenden zwei Themen entschied sich Hannelore für einen politischen Aufsatz: »Wie kann der jugendliche Mensch für das politische Leben gewonnen und für die späteren politischen Aufgaben vorbereitet werden?« Wie die Note ausfiel, hat Hannelores Mutter indes nicht notiert.
Am 21. Juni 1951 gab es endlich die begehrten Zeugnisse, und Hannelore konnte sich über ihren ausgezeichneten Notendurchschnitt nur freuen. Die frisch gebackene Abiturientin genoss die neue Freiheit, das Tor für eine akademische Laufbahn war weit geöffnet. Doch wie in den vergangenen Jahren musste sich Hannelore auch jetzt wieder bescheiden. Aus finanziellen Gründen war ein Universitätsstudium ausgeschlossen. Dazu reichte Vaters Einkommen bei Mey & Edlich noch nicht aus. Und mit Hannelores Fähigkeiten, wie dem mittlerweile fast perfekten Stenografie- und Schreibmaschineschreiben, ein Studium zu finanzieren, schien unmöglich. In dieser Situation entschied sich Hannelore für das Nächstliegende: Kurz entschlossen meldete sie sich im nahe gelegenen Germersheimer Auslands- und Dolmetscherinstitut an. Im Hauptfach belegte sie Französisch, in den Nebenfächern Englisch und Spanisch.
Mit dem Wintersemester 1951/52 begann eine neue Lebensphase. Hannelore war erstmals auf sich alleine gestellt. Sie bezog eine kleine Bude, die Besuche in der elterlichen Wohnung in Leinfelden beschränkten sich während
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