Die Frau an Seiner Seite
bescheidenen Ersparnisse reichten 1952 für die Anschaffung eines kleinen gebrauchten Pkws.
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Die Nachkriegsjahre waren nicht nur für Hannelores Eltern die schlimmsten ihres Lebens. Das Wegbrechen einer gesicherten Existenz, der tiefe Fall aus privilegierten, wohlhabenden Kreisen in die Schicht der Habenichtse wirkte sich natürlich auch verheerend auf das junge Mädchen aus. Das Einzige, was Hannelore in dieser Zeit Stabilität verlieh, waren der regelmäßige Schulbesuch und die Freude am Lernen, die ihr über manche Probleme des Alltags hinweghalf. Was sie, wie so viele ihrer Generation, nicht verarbeiten konnte, waren die immer wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen: die Bombenangriffe auf Leipzig, die Phosphorbomben, die nicht gelöscht werden konnten und die Straßenzüge in ein apokalyptisches Szenario verwandelten. Wie ein Albtraum verfolgte sie der »Bahnhofsdienst« von Döbeln, die Bilder der offenen Güterwaggons mit erfrorenen Menschen und grausam verstümmelten Soldaten, die unbeschreiblichen hygienischen Zustände und die andauernden Tieffliegerangriffe. Auch jetzt noch waren die Erlebnisse der Flucht gegenwärtig, das Gefühl der Entwurzelung, die Angst vor dem Untergang, die Ohnmacht eines Mädchens, das die Welt nicht mehr verstehen und das Chaos nicht fassen konnte. In unseren langen Gesprächen erzählte sie, dass sich die Bilder der Flucht, der Misshandlung, der brutalenVergewaltigung unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten. Bis zu ihrem Tod quälte sie das Erlebte, das Stigma, ein misshandeltes und missbrauchtes Kind gewesen zu sein. In den Jahren nach dem Krieg gab es keinen Raum dafür, die traumatischen Erlebnisse zu bewältigen. Jeder hatte sein Päckchen allein zu tragen, es galt, alles schnell zu verdrängen und mit aller Macht am Wirtschaftswunder zu arbeiten. Hannelore musste der Pflicht genügen, sie musste funktionieren, um wenigstens die von ihr erwarteten schulischen Leistungen zu erbringen.
An den Ludwigshafener Schulen fehlte es in den Nachkriegsjahren an Lehrkräften und Schulbüchern. Zudem verlangte die französische Besatzungsmacht, dass die Kinder die französische Sprache erlernten. In Döbeln hatte Hannelore mit Latein begonnen, jetzt musste sie sich auf Französisch und Englisch umstellen. Ohne fremde Hilfe meisterte sie die schulischen Anforderungen mit Bravour, glänzte in den naturwissenschaftlichen Fächern und überzeugte auch in den Sprachen. Aus ihrer Begabung machte sie das Beste, auch finanziell: Hannelore gab Nachhilfeunterricht in fast allen Fächern. Für fünf Mark pro Stunde verhalf sie schwächeren Schülerinnen zum Weiterkommen und steckte ihren ganzen Ehrgeiz in den Erfolg ihrer Schützlinge. Misserfolge wären »geschäftsschädigend« gewesen, auch deshalb strengte sie sich sehr an, damit ihre Schüler das nächste Klassenziel auch erreichten. Neben der wunderbaren Geldvermehrung hatte der Nachhilfeunterricht einen weiteren angenehmen Nebeneffekt. Hannelore ging zu ihren Schülern nach Hause und genoss die geheizten Stuben während der winterlichen Kälteperioden. Außerdem fiel nicht selten etwas zu essen ab, was ihre Lebensfreude allenthalben steigerte. Das Gewicht des Mädchens hatte sich lange an der Grenze zur Unterernährung bewegt, nun aß sie mit gutem Appetit. Besonders freute sie sich über die »Quäker-Speisung« der Amerikaner: von dem süßen Brei aus Milchpulver und Haferflocken verschlang sie große Portionen. Klassenkameradinnen erinnern sich, dass man sie wegen ihrer markanten Wangenknochen bald mit dem Spitznamen »Pfannkuchen« bedachte. Für ein Mädchen in diesem Alter, zumal für eine Außenseiterin wie Hannelore, eine massive Kränkung. Die Hänselei hinterließ eine weitere Wunde auf ihrer Seele. Ihre Zurückhaltung, ihre Menschenscheu und ihr Misstrauen gegenüber anderen nahmen noch zu. Zumal die Lebensumstände zu Hause nicht dazu beitrugen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Noch waren die Renners bettelarm, und Hannelore besaß nicht einmal ein eigenes Bett. Oft schlief sie bei Nachbarn, im Doppelbett mit den Nachbarsfrauen, deren Männer noch in Gefangenschaft waren, musste Woche für Woche die Schlafplätze wechseln. Damals, so berichten ihre Bekannte, gewöhnte sie sich auch eine besondere Schlaftechnik an, die sie bis zu ihrem Lebensende nicht mehr ablegen wollte. Sie legte sich ins Bett und, um niemanden zu stören, bewegte sich nicht. Niemals drehte sie sich bewusst von einer auf die andere
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