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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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des Semesters auf wenige Wochenenden und Feiertage. Sie nutzte die neue Freiheit zu intensiver Arbeit und verfolgte mit Ehrgeiz ihr Sprachenstudium. Der an Bescheidenheit und Verzicht gewöhnten Studentin war klar, dass ein von den Eltern finanzierter Studienaufenthalt im Ausland nicht realisierbar war. Aber sie wusste sich zu helfen und bewarb sich erfolgreich um eine Stelle als Au-pair-Mädchen in Paris. Mit wenig Geld in der Tasche, aber mit hohen Erwartungen, fuhr sie Mitte März 1952 mit dem Zug in die französische Hauptstadt. Hier wurde sie ausgesprochen freundlich – damals keine Selbstverständlichkeit – in einer recht wohlhabenden Familie aufgenommen.
    Was sie in ihrer deutschen Heimat schon bis zur Perfektion verfeinert hatte, war in Paris wieder gefragt: Die Germersheimer Studentin entwickelte ein Nachhilfekonzept für die einzige Tochter der französischen Gasteltern. Ausgestattet mit einem guten Lexikon, »dozierte« sie nun ausschließlich auf Französisch, wovon ihre eigenen Sprachfähigkeiten entscheidend profitierten. So nutzte sie den Paris-Aufenthalt auch für sich optimal. Mit ihrem bescheidenen Taschengeld konnte sie sich während ihrer knapp bemessenen freien Zeit kleine Ausflüge leisten und die Schönheiten der französischen Metropole kennenlernen. Nach zweieinhalb Monaten ging der Paris-Aufenthalt zu Ende, Hannelore musste Abschied nehmen von dieser deutschfreundlichen Pariser Familie, bei der sie sich so gut aufgehoben gefühlt hatte. Der Besuch hatte ihr brüchiges Selbstbewusstsein gefestigt, mit ihm hatte sie ihre Selbstständigkeit unter Beweis stellen können.
    Voller Schwung und gestärkt durch die positiven Erfahrungen nahm sie das zweite Semester in Angriff. Alles deutete darauf hin, dass ihr Dolmetscherstudium die richtige Wahl gewesen und ein erfolgreicher Abschluss in Kürze zu erwarten war. Nach allem, was das Flüchtlingskind an seelischen Belastungen und Verletzungen erlebt hatte, deutete nun alles auf eine fast sorgenfreie Lebensphase hin.
    * * *
    Der Umzug nach Leinfelden war noch keine vier Wochen her, als Wilhelm Renner mit 62 Jahren überraschend am 18. September 1952 im städtischen Katharinenhospital in Stuttgart starb. Überliefert ist, dass Hannelore noch rechtzeitig aus Germersheim anreiste, um von ihrem über alles geliebten Vater Abschied zu nehmen. Er war die prägende Figur in ihrem bisherigen Leben gewesen. Auf dem Totenbett sagte er noch einen Satz, der für Hannelores Leben maßgeblich wurde: »Wenn du später etwas zu tun hast, dann sage nie: ich kann es nicht. Sage vielleicht: Ich kann es noch nicht.«
    In der Sterbeurkunde Nummer 2420 vom 19. September 1952 wird als Todesursache »Coronarsklerose« angegeben, eine Verkalkung und Veränderung der Herzkranzgefäße. Diese Todesursache wurde von einigen Zeitzeugen angezweifelt. Immer wieder tauchten Gerüchte auf, er habe sich das Leben genommen, die aber nie bestätigt werden konnten. Wilhelm Renner, so die Vermutungen, habe wohl den Gedanken daran, er habe seinen Posten bei May & Edlich vor allem den verwandtschaftlichen Beziehungen seiner Frau zu verdanken, nur schwer ertragen. Es sei ihm, so eine weitere Mutmaßung, auch nicht gelungen, in dieser ihm fremden Bekleidungsbranche den Anforderungen der Geschäftsführung zu genügen und mit den innerbetrieblichen Abläufen zurechtzukommen. Im tiefsten Herzen habe er wohl das Ende seiner Direktorenkarriere in Leipzig nie verwunden und sich mit dem daraus resultierenden tiefen gesellschaftlichen und sozialen Absturz nicht abfinden können. Nicht überraschend wäre, wenn er trotz großer Kraftanstrengung eine Depression entwickelt hätte. Ob diese Lesart zutreffend ist, bleibt ungewiss. Fakt ist, dass er – außer seiner Frau, wenn überhaupt – niemandem sein wahres Gefühlsleben offenbarte. Hannelore blieb er als ein Mann mit großer Herzenswärme, als äußerst verständnisvoller und liebevoller Vater in Erinnerung.
    Wilhelm Renner wurde am 20. September 1952 in Stuttgart eingeäschert und am 2. Dezember des gleichen Jahres auf dem Riensberger Friedhof im Bremer Stadtteil Schwachhausen ohne kirchlichen Segen beigesetzt. Der berühmte Riensberger Friedhof ist eine parkähnliche Ruhestätte mit einem See, mehreren Brücken, vielen künstlerisch bedeutsamen Grabmalen, Mausoleen und einer gotischen Backsteinkapelle. Hier fand Wilhelm Renner seine letzte Ruhe in der Grabstätte seines Schwiegervaters und seines Schwagers.
    Was hat Hannelore über ihren Vater

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