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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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Programm. Und am Ende des ungeheuren Wahl-Marathons folgte die Bundestagswahl am 16. Oktober. Über 60 Millionen Bundesbürger waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Mehr als früher hatten Kohls Wahlkampfstrategen auf die Unterstützung durch Hannelore gesetzt, die sich aber aus gesundheitlichen Gründen nur auf die Teilnahme an den größten Wahlkampfauftritten ihres Mannes konzentrierte. Dennoch waren die Auftritte für sie psychisch und physisch wegen ihrer Krankheit extrem belastend. Mit preußischem Pflichtgefühl und unbändigem Durchhaltewillen leistete sie diese Kärrnerarbeit.
    Die zweite gesamtdeutsche Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung brachte erneut eine Bestätigung für die christlich-liberale Regierungskoalition. Dabei hatte die Opposition dem »Dauerkanzler« und »Dauerparteivorsitzenden« nichts mehr zugetraut. Auch diesmal musste die Kanzlergattin schlimme Diffamierungen ihres Mannes ertragen und Herabwürdigungen hinnehmen, die sie selbst nach Jahrzehnten im Politikbetrieb immer noch verletzten.
    Mit der knappsten aller Mehrheiten schaffte es Kohl gerade noch einmal so. Bei der Wiederwahl zum Kanzler hatten mindestens drei Abgeordnete aus dem Regierungslager von CDU/CSU und FDP gegen ihn gestimmt. Hannelore und ihre Söhne, die das Geschehen von der Besuchertribüne des Deutschen Bundestages verfolgten, zeigten sich erleichtert. Heute weiß man, dass Helmut Kohl abgewählt worden wäre, hätten nicht zwei sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete für ihn votiert. Ohne sie wäre er gescheitert.
    Erneut in Amt und Würden, versprach Helmut seiner Hannelore, nicht mehr die ganze Legislaturperiode über im Amt zu bleiben. Er stellte ihr in Aussicht, nach der Hälfte der Zeit zurücktreten zu wollen. Hannelore nahm diese Äußerung mit Skepsis auf und hoffte dennoch auf das Einlösen dieses Versprechens. Sie setzte auf diese neue Zeit, ohne Stress und einen Sechzehnstundentag, eine Zeit mit mehr Entspannung, Genuss und Zweisamkeit. Die Chance auf eine Veränderung schien greifbar, zumal der Kanzler keinen Zweifel daran ließ, dass er in Wolfgang Schäuble seinen Nachfolger sah. Noch vor der Wahl 1994 hatte er im vertrauten Kreis Rückzugsgedanken geäußert und seinem Mitstreiter und Vertrauten, Bundesfinanzminister Theo Waigel, signalisiert, nach zwei Jahren seinem Nachfolger Platz machen zu wollen. Aber noch war Kohl im Amt – und Hannelore wie immer an seiner Seite.
    Das erste Halbjahr 1995 stand ganz im Zeichen der Erinnerungen an das Jahr 1945, an das Ende des Krieges. Die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen ARD und ZDF strahlten herausragende Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg und sein Ende aus. In den Printmedien wurde gleichermaßen an die düsterste Zeit der deutschen Geschichte erinnert. Für Hannelore bedeuteten die Bilder von brennenden Häusern, flächendeckender Bombardierung und vom Flüchtlingselend die Erinnerung an die schlimmste Zeit ihres Lebens. Gerne hätte sie auf diese Art der medialen Erinnerungsarbeit verzichtet. Doch sie konnte sich den Augenzeugenberichten und persönlichen Rückblicken nicht entziehen. Die Dokumentationen über die entsetzlichen Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des von Hitler entfesselten Krieges ließen all das mühsam Verdrängte nach oben schwappen. Wieder und wieder wurde sie daran erinnert, dass der 8. Mai 1945 nicht nur für sie ein einschneidendes Datum war, sondern für Millionen von Menschen. Die einen erlebten ihn als Tag der Befreiung, die anderen als Tag der Niederlage und des Verlustes der Heimat. Auch nach fünfzig Jahren konnte es keinen Schlussstrich geben. Die deutsche Vergangenheit war Gegenwart, die Grausamkeiten des Krieges und die Verbrechen an den europäischen Juden gestatteten kein Vergessen. Dessen, und der besonderen Rolle, die Deutschland seitdem innehatte, war sich auch Hannelore bewusst. Gleichzeitig verhehlte sie nicht, wie groß ihre Sehnsucht war, unter die eigene Vergangenheit einen Schlussstrich ziehen zu können. Doch an einer wirklichen »Bewältigung« scheiterte sie wie wohl viele Menschen der Kriegsgeneration. Bis zu ihrem Tod quälten sie Erinnerungen und Bilder der traumatischen Erlebnisse.
    Am Abend des 8. Mai hatte Bundespräsident Roman Herzog ins Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin zu einem Staatsakt eingeladen. Die nach wie vor gesundheitlich stark angeschlagene Hannelore und ihr Mann begrüßten die politischen Repräsentanten der Bundesrepublik

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