Die Frau an Seiner Seite
Deutschland, die Vertreter der vier Siegermächte sowie zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland. Nach Beethovens Ouvertüre zu »Coriolan« sprach Roman Herzog. Er beschrieb die Schreckensszenarien des Krieges, nannte die Täter beim Namen und sprach von der besonderen Verantwortung der Deutschen gegenüber den Menschen gerade auch in Osteuropa und in Israel. Und dann sagte er wörtlich: »Millionen waren zu Krüppeln geschossen. Hunderttausende von Frauen wurden vergewaltigt. Der Geruch der Krematorien und der schwelenden Ruinen lastete über Europa.« Einen solchen Satz über vergewaltigte Frauen hatte man bislang noch nie aus dem Munde eines Spitzenpolitikers gehört. Ob ihr Mann neben ihr ahnte, was in diesem Moment im Inneren seiner Frau vor sich ging?
Höhepunkt des Festakts war die Abschiedsrede von François Mitterrand. Vom Krebs gezeichnet, bleich und zerbrechlich, berichtete er von seinen ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen mit den Deutschen und zeichnete eine Vision von Europa, die als Vermächtnis in die europäische Geschichte einging. Hannelore war ebenso wie ihr Mann derart berührt, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
* * *
Im Vorfeld des CDU-Bundesparteitages Mitte Oktober 1995 in Karlsruhe regte sich Unmut in der Partei. Das Politikmanagement des Kanzlers wurde kritisiert, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Heiner Geißler warnte die Partei, ausschließlich auf Helmut Kohls Popularität zu setzen. Seine Kritik gipfelte in der Bemerkung, die CDU dürfe keine »führerkultische Partei« werden, die sich nur an eine Person klammere. Ein Politiker aus der saarländischen Provinz forderte einen »umfassenden Erneuerungsprozess der Bundespartei«. Die CDU leide unter einem deutlichen Wähler- und Mitgliederschwund, ihr drohe die Vergreisung. Die Angriffe trafen nicht nur den Kanzler, sondern auch in besonderer Weise die immer dünnhäutiger werdende Hannelore. Gierig griff die Presse die Kohl-Kritik auf und sorgte für entsprechende negative Schlagzeilen über den Parteivorsitzenden. Als dann noch der amtierende Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Kurt Biedenkopf, mit einer Denkschrift unter dem Titel »Anmerkungen zur politischen Lage« an die Öffentlichkeit trat, fühlte sich Hannelore regelrecht beleidigt. Drei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl sprach er sich offen gegen einen allein auf den Kanzler ausgerichteten Wahlkampf aus. Die Frage, ob Kohl überhaupt noch einmal antreten solle, wurde heftig diskutiert. Hannelore verfolgte wie selten zuvor die innerparteilichen Auseinandersetzungen und hoffte, dass ihr Mann die Signale erkennen würde und zur rechten Zeit seine Nachfolge klären würde. Im Hause Kohl wurde darüber allerdings ebenso wenig gesprochen, wie in der Runde des Kanzlers mit seinen engsten Mitstreitern und Beratern in Bonn.
ENTTÄUSCHUNGEN
Helmut Kohl war keineswegs beratungsresistent. In politischen Sachfragen zog er gerne Experten zurate und ließ sich von nachvollziehbaren Argumenten auch umstimmen. Der Kanzler war durchaus in der Lage, seine vorgefasste Meinung zu ändern und anderen Überzeugungen zu folgen. In Personalfragen allerdings überließ er engsten Mitarbeitern und Beratern nur dort das Feld, wenn sie aus seiner Sicht zweitrangig oder gar nebensächlich waren. Wenn es um hohe politische Ämter ging, um Machtabsicherung und Machterhalt, vertraute er nur seinen eigenen Gefühlen, seinem Instinkt, seinem Bauch. und wenn es um ihn selbst ging, kannte er keine Berater. Aus seinem unmittelbaren Umfeld kamen daher von vornherein keine Ratschläge mehr, die seine Person betrafen.
Was Helmut Kohl in der Mitte der Legislaturperiode tatsächlich zu tun beabsichtigte, bleibt sein Geheimnis. Ob und wann er vom Amt des Bundeskanzlers zurücktreten würde, welcher Zeitpunkt für Partei und Land aus seiner Sicht der richtige sein könnte, war für niemanden zu erkennen. Hannelore tappte genauso im Dunkeln wie alle aus dem verschworenen Kreis seiner engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hannelore wagte es auch nicht, ihren Mann darauf anzusprechen. Sie wusste genau, dass sie keine Chance hatte, seine Zukunftspläne zu ergründen, und schon gar nicht, diese mit ihm zu besprechen. In vergleichbaren Situationen hatte sie wichtige Karriereentscheidungen ihres Mannes aus Rundfunk, Presse und Fernsehen erfahren. Nur einige Male war sie wenige Minuten vor Bekanntgabe telefonisch von ihm über wegweisende Pläne und
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