Die Frau an Seiner Seite
schon länger gedrängt, 1998 erneut anzutreten. In ihren Reihen gab es erhebliche Vorbehalte gegen einen Kanzlerwechsel während der laufenden Legislaturperiode. Außerdem gab es von liberaler Seite konkrete Warnungen an den Kanzler, dass einige FDP-Parlamentarier Wolfgang Schäuble auf keinen Fall wählen würden. Als Gründe wurden dessen konservative Überzeugungen in gesellschafts- und rechtspolitischen Fragen angegeben. Auch aus den Reihen der CSU hatte Kohl deutliche Signale gegen eine Schäuble-Wahl erhalten, bei denen vergleichbare Argumente ins Feld geführt wurden. Hinter vorgehaltener Hand gab es aus Kreis- und Ortsverbänden von CDU/CSU, aber auch von Mitgliedern der Parteispitzen Vorbehalte, ob Schäuble wegen seiner Behinderung dem Amt gewachsen war. »Ein Krüppel als Kanzler«, so die zynische Formulierung, das schien für manchen Unionsanhänger undenkbar. Helmut Kohl konnte sich darüber furchtbar aufregen. Für ihn war Schäuble ein brillanter Stratege und begnadeter Politiker, der eine eiserne Disziplin besaß, wenn es um die Erfüllung seiner Aufgaben ging. Den Mann im Rollstuhl hielt er für seinen einzig würdigen Nachfolger.
Über diese Probleme konnte der Amtsinhaber öffentlich nicht sprechen, er vermied es auch, mit seinem Kronprinzen unter vier Augen zu reden. Traute er nicht einmal seiner Frau absolutes Stillschweigen zu, oder warum sonst hätte er sie wohl so lange im Unklaren gelassen? Jetzt waren die Würfel gefallen, jetzt musste sich auch Hannelore auf eine neue Schlacht einstellen.
Es ist schmerzlich, dass bei all den berechtigten oder unberechtigten Überlegungen des Kanzlers zum möglichen Amtswechsel seine Frau keine Rolle spielte. Weit mehr als Privates, gar die Rücksichtnahme auf die von ihrer Lichtallergie deutlich gezeichnete Ehefrau, zählte Kohls Angst, sein politisches Vermächtnis könne Schaden nehmen. Er fürchtete vor allem um die geplante Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung. Der Familie blieb nichts anderes, als sich zu fügen. Nach der ersten Wut und Enttäuschung erkannte Hannelore, dass es zu der Entscheidung ihres Mannes zu dieser Zeit keine echte Alternative gab. Ähnliches galt für die Söhne. Einen solchen Vater zu haben, war eben etwas Außergewöhnliches, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein, forderte beständiges Zurückstecken, weitestgehender Verzicht auf ein selbstbestimmtes Leben und nahezu eine gewisse Opferbereitschaft.
Wolfgang Schäuble hingegen wollte sich mit Kohls »selbstherrlicher« Entscheidung nicht abfinden und entschied sich zum Angriff. Die Umfragewerte der Unionsparteien konnten kaum schlechter sein, und viele in der Union sahen in Kohl den Schuldigen. Doch niemand hatte den Mut, den Kanzler offensiv von einer erneuten Kandidatur abzubringen. Überliefert ist, dass Schäuble, der nicht als Königsmörder dastehen wollte, Kohl in einem Vieraugengespräch mitteilte, er glaube nicht, dass die Bundestagswahl unter diesen Voraussetzungen noch zu gewinnen sei. Das würden alle Umfragen seit geraumer Zeit stützen. Daraufhin soll Kohl entgegnet haben, er sei da ganz anderer Meinung. Damit war die Diskussion beendet und der Bruch zwischen diesen beiden so erfolgreichen Bundespolitikern der Union besiegelt. Und es sollte noch schlimmer kommen.
Im Mittelpunkt der Wahlkampagne von CDU/CSU stand Kohl als »Staatsmann mit Führungskompetenz und Regierungserfahrung in Zeiten des Wandels«. SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder und seine Partei setzten ganz darauf, dass die Bevölkerung des »Dauerkanzlers« überdrüssig sei. Sie stellten Kohl als »Mann von gestern«, als »ewigen Kanzler« hin, dessen Zeit ebenso wie die seiner Regierung abgelaufen sei. »16 Jahre sind genug« war eine zündende Wahlkampfparole der Kohl-Gegner. Sechs Wochen vor der Wahl kündigte Kohl an, für den Fall einer Niederlage den CDU-Parteivorsitz abgeben zu wollen. Es schien, als hielte auch er einen Wahlsieg für kaum noch möglich. Trotzdem kämpften er und die Koalitionsparteien unverdrossen für den Erhalt der politischen Macht und hofften lange Zeit, noch einmal genügend Rückhalt von den Wählern zu bekommen.
Wie in allen Wahlkämpfen zuvor trug Kohl die größte Last der Kampagne. Und wie bei allen fünf Bundestagswahlkämpfen zuvor, engagierte sich die Frau an seiner Seite. Ohne Rücksicht auf ihr immer schlechter werdendes Befinden trat sie bei Großveranstaltungen auf, um für die Politik ihres Mannes zu werben. Ein letztes Mal
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