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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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andere ebenfalls jemanden, genau wie sie.
    Fast im Laufschritt eilte sie über den Steinfußboden zur nächsten Tür. Als sie diese Tür hinter sich geschlossen hatte und auf den großen Kamin zuging, kam Sandeman gerade mit warmherzigem und zugleich neugierigem Gesichtsausdruck aus der Küche. Er trocknete sich die Hände an einem groben Tuch. Die Haut sah rot aus, als hätte die Seife sie entzündet.
    Er erkannte sie gleich. »Was kann ich für Sie tun, Mrs Pitt?« In seiner Stimme lag Ablehnung, und sein Gesicht war mit einem Mal verschlossen.
    Obwohl sie damit gerechnet und versucht hatte, sich darauf einzustellen, sank ihr der Mut. Ihr Lächeln erstarb, bevor es ihre Lippen erreichte. »Guten Morgen, Mr Sandeman«, sagte sie leise. »Ich bin noch einmal gekommen, weil sich seit unserem vorigen Gespräch neue Gesichtspunkte ergeben haben.« Sie hielt inne. Ihr war klar, dass er ihr nicht glaubte. Um Tildas willen war sie bereit, ihm mehr zu sagen als bei ihrem vorigen Besuch, notfalls sogar mit einem gewissen Nachdruck, für den ihr seinerzeit der Mut gefehlt hatte.
    »Bei mir nicht«, sagte er und hielt ihrem Blick stand. Wieder war sie verblüfft von der seelischen Kraft dieses Mannes. Er erweckte den Eindruck, als gebe es in seinem Inneren eine Insel des absoluten Wissens, an der weder das vom Zufall bestimmte Kommen und Gehen der anderen noch ihre Leidenschaften etwas ändern konnten. »Tut mir Leid«, fügte er hinzu, um die Zurückweisung abzuschwächen.
    Sie sprach nur weiter, weil es ihr grotesk erschienen wäre, den ganzen Weg auf sich genommen zu haben und gleich wieder zu gehen, ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen, ihr Ziel zu erreichen. »Ich habe das nicht anders erwartet, Mr Sandeman. Aber seit meinem vorigen Besuch ist mein Mann aus Alexandria
zurückgekehrt und hat mir berichtet ...« Sie hielt inne. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Finger umkrallten das Tuch so fest, dass es ihn schmerzen musste.
    Sie setzte nach. »Er hat mir berichtet, was er dort im Zusammenhang mit Mr Lovats Militärdienst in Ägypten ermittelt hat, und auch manches andere ...« Mit voller Absicht hielt sie ihre Aussage allgemein, damit er nicht merkte, wie wenig sie in Wahrheit wusste. »Mr Sandeman, ich fürchte, Martin Garvies Leben ist in Gefahr. Ein sehr hoher Beamter des Sicherheitsdienstes hat mich unter Hinweis darauf, dass ich mich hier in äußerst gefahrvolle Angelegenheiten einmische, aufgefordert, der Sache nicht weiter nachzugehen. Das aber kann ich nicht, solange ich annehmen darf, dass ich die Möglichkeit habe, jemanden zu retten. Ich fürchte, man wird zulassen, dass Martin Garvie umgebracht wird, weil er für diese Leute nicht mehr von Bedeutung ist.«
    Sandemans Augen waren unnatürlich geweitet, als wenn er den Blick auf etwas gerichtet hätte, das ihn bannte. Seine Lippen wirkten wie ausgedörrt. »Was hat der Sicherheitsdienst mit Martin Garvie zu tun?«
    »Ihnen dürfte bekannt sein, dass Edwin Lovat ermordet worden ist. Nicht nur das hat in allen Zeitungen gestanden«, gab sie zur Antwort, »sondern auch, dass man eine Ägypterin als angebliche Täterin vor Gericht gestellt hat. Bestimmt redet man sogar hier in der Gegend von Seven Dials über den Prozess in Old Bailey. Der Fall hat großes Aufsehen erregt, weil ein bedeutender Politiker in ihn verwickelt ist. Man muss sogar damit rechnen, dass die Regierung darüber zu Fall kommt.«
    »Ja«, sagte Sandeman ruhig. »Natürlich habe ich davon gehört. Aber das ist eine völlig andere Welt als die, in der wir hier leben. Für uns ist das eine Geschichte — nichts weiter.« Es klang, als versuche er die Sache von sich zu schieben, damit ihm niemand eine Verantwortung aufbürden konnte.
    Charlotte spürte, wie ihr der Vorteil entglitt. Ein Anflug von Panik meldete sich. Wie konnte sie die Sache wieder zu ihren Gunsten wenden? Sie musste einen neuen Vorstoß wagen, denn wenn sich
Sandeman wieder vollständig verweigerte, wäre alles nutzlos gewesen. Ihr fiel etwas ein, was Pitt über den vierten Mann gesagt hatte. »Mr Yeats ist auch tot, müssen Sie wissen«, sagte sie unvermittelt.
    Er sah aus, als hätte sie ihn geohrfeigt. Er öffnete den Mund und schnappte nach Luft. Offensichtlich hatte er nichts davon gewusst, und sie begriff, dass es ihn im tiefsten Wesen traf. Jetzt war der Augenblick gekommen, die Gunst der Stunde zu nutzen und ihm zu entlocken, was ihm Martin Garvie anvertraut hatte. Um Gewissensbisse deswegen zu

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