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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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helfen – aber wenn Sie unbedingt wollen, kann ich es ja mal probieren.«
    »Leutnant Edwin Lovat«, sagte Pitt. Er mochte McDade und hatte nichts Besseres oder Nützlicheres zu tun, als ihm aus der Nase zu ziehen, was er wissen wollte.
    »Der ist tot«, sagte McDade schlicht und sah sich in seinem Dienstzimmer um. »Schuss durch die Brust – genau gesagt durch das Herz. Kleinkalibrige Handfeuerwaffe aus kurzer Distanz. Saubere Arbeit.«
    »Ist so etwas schwer?«, fragte Pitt.
    »Auf eine solche Entfernung nur für einen Blinden, wenn sich das Ziel bewegt!« McDade warf Pitt einen Seitenblick zu. »Sie haben die Leiche wohl noch nicht gesehen!«
    »Nein«, bestätigte Pitt. »Muss ich?«
    McDade zuckte die breiten Schultern, wobei sein massiges Kinn ins Zittern geriet. »Nur, wenn Sie wissen wollen, wie er ausgesehen hat, nämlich so wie so ziemlich jeder andere gut gebaute junge Engländer aus besseren Kreisen, der behaglich lebt, viel und gut isst und sich in letzter Zeit zu wenig Bewegung verschafft hat. Noch zehn Jahre, und er wäre richtig dick geworden, weil dann die Muskeln erschlafft wären.« Sein Gesichtsausdruck wurde betrübt. »Er muss zu Lebzeiten gut ausgesehen haben. Angenehm geschnittenes
Gesicht, volles Haar, und er hat noch alle Zähne – nicht schlecht für Anfang vierzig. Natürlich machen Intelligenz und Witz das Wesen eines Menschen aus, worüber sich nichts sagen lässt, wenn man ihn nur als Leiche gesehen hat.« Bei diesen Worten sah er beiseite, ohne auch nur eine Spur verlegen zu wirken. Entschuldigte er sich für seine eigene Massigkeit, bemühte er sich, kritische Gedanken abzuwehren, obwohl nicht das Geringste gesagt worden war?
    »Da haben Sie Recht«, bestätigte Pitt. Sich selbst hatte er nie für gut aussehend gehalten. Mit einem Mal musste er lächeln.
    McDade wurde rot. »Was wollen Sie noch?«, fragte er und wandte sich zu ihm um. »Man hat ihn erschossen! Durch das Herz, wie gesagt. Ich habe keine Ahnung, ob das ein Glückstreffer war oder das Werk eines Kunstschützen. Auf jeden Fall muss er augenblicklich tot gewesen sein.«
    »Danke. Vermutlich können Sie mir nichts weiter sagen?«
    »Was zum Beispiel?«, fragte McDade mit ungläubig erhobener Stimme. »Vielleicht, dass der Täter ein schielender und hinkender Linkshänder war? Nein, damit kann ich nicht dienen! Den Schuss hat jemand, der eine Waffe ruhig halten und sehen konnte, was er tat, aus wenigen Schritt Entfernung abgegeben. Nützt Ihnen das was?«
    »Nicht das Geringste. Danke, dass Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben. Darf ich ihn sehen?«
    McDade wies mit seinem kurzen, dicken Arm auf die Tür. »Nur zu. Er liegt auf dem dritten Tisch. Es dürfte Ihnen nicht schwer fallen, ihn zu finden, denn die beiden anderen sind Frauen.«
    Pitt verkniff sich eine Antwort und ging nach nebenan.
    Er betrachtete Edwin Lovats Leichnam in der Hoffnung, dabei etwas darüber zu erfahren, wie der Mann im Leben gewesen war. Er sah sich das wächserne Gesicht an, das im Tode ein wenig eingesunken war, und versuchte sich vorzustellen, wie er gewesen sein mochte, als er redete, lachte und voller Gefühle war. Reglos, stumm, ohne die Gedanken und Leidenschaften, die ihn einzigartig gemacht hatten, teilte ihm Lovats Leichnam nicht mehr mit
als das, was McDade bereits gesagt hatte. Auf keinen Fall hätte ihn eine zierliche Frau allein heben können. Wenn Lovat mit der Möglichkeit gerechnet hätte, dass der oder die Betreffende gewalttätig werden könnte, wäre er wohl kaum so nahe an die Person herangetreten, die ihn erschossen hatte. Also hatte er den Mörder entweder gut gekannt oder den Angreifer erst im letzten Augenblick gesehen. Beide Möglichkeiten passten gut zu den Tatsachen, nur ließ sich auf keinen Fall sagen, welche zutraf. Wahrscheinlich war es ohnehin unerheblich. Die Frau hatte ihn getötet. Pitts einzige Hoffnung, Ryerson zu retten, bestand darin, einen mildernden Umstand dafür zu finden.
    Den Rest des Nachmittags brachte er damit zu, möglichst viel über Ryerson und dessen Wahlkreis in Manchester in Erfahrung zu bringen. Die zweitgrößte Stadt des Landes war das Herz der englischen Baumwollindustrie und zugleich die Heimat des Premierministers Gladstone. Bei seinen Nachforschungen stellte Pitt fest, dass sich Ryerson gegenwärtig in erster Linie um den Binnen- und Außenhandel des britischen Weltreichs kümmerte.
    Er wurde rechtzeitig fertig, sodass er zum Abendessen wieder in der Keppel Street eintraf.
    »Kannst du

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