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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Kanadier verhaftet, die Robb’n geklaut ha’m soll’n oder so. Woll’n Se eine?«, fragte er mit hoffnungsvoller Stimme.
    Lächelnd hielt ihm Charlotte eine Münze hin und nahm das oberste Exemplar vom Stapel, das beträchtlich zerknittert war.
    »Recht hat er«, sagte Gracie finster. »Da steht nix Gutes drin.« Sie wies auf die Zeitung in Charlottes Hand. »Immer nur Krieg un so’n Unsinn!«
    »Offenbar betrachten wir nur solche Dinge als Nachrichten«, gab ihr Charlotte Recht. »Das Gute ist, wie es scheint, nicht berichtenswert.« Sie hatte unterwegs immer wieder über die Frage nachgedacht, wie man Gracie Zutritt zum Haus der Familie Garrick verschaffen könnte. Allmählich zeichnete sich ein Plan ab. »Gracie ...«, sagte sie zögernd. »Wenn Tilda krank wäre und du nicht wüsstest, dass Martin nicht mehr dort ist, wäre es da nicht das Natürlichste, dass du hingingest, um ihm zu berichten, wie es seiner Schwester geht? Vielleicht ist sie so krank, dass sie nicht schreiben kann – wenn sie es überhaupt kann.«
    Gracies Augen leuchteten auf, und ein leichtes Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Ja! Das würd ’ne Freundin wohl mach’n, nich wahr? Tilda is plötzlich schwer krank geword’n, un ich soll das dem armen Martin sag’n, damit er se besuch’n kommt. Weil wir beide gute Freundinnen sind – das stimmt ja auch –, weiß ich, wo er arbeitet. Am besten geh ich so bald wie möglich hin, was? Ich hab das gehört, meine Herrschaft gefragt, ob ich mal schnell weg darf, un weil die Gnädige Verständnis hat, sagt sie, ich soll das
gleich mach’n!« Mit einem Mal erhellte ein breites Lächeln ihr schmales Gesicht und ließ sie erstaunlich unternehmungslustig wirken.
    »Ja«, stimmte Charlotte zu, die unwillkürlich den Schritt beschleunigt hatte. Wieder ging es um eine Straßenecke, wo der Wind sie erfasste, sodass ihre Röcke wehten und die Blätter der Zeitung unter ihrem Arm hin und her gezerrt wurden. »Je eher du gehst, desto besser. Die Hausarbeit kann warten.«
    Sicher war es das Beste, sofort etwas zu unternehmen, denn die Dinge würden durch Abwarten bestimmt nicht besser. Sie hatte die Pflicht, diese Aufgabe für Tilda zu erledigen – und natürlich für Martin. Wenn es nur nicht schon zu spät war! Eine halbe Stunde darauf machte sich Gracie auf den Weg, durch eine weitere Tasse Tee gestärkt. Sie war außerordentlich nervös und fürchtete so sehr, etwas falsch zu machen, dass ihr flau im Magen wurde. Ganz bewusst langsam ein- und ausatmend, übte sie, ihre auswendig gelernten Sätze sorgfältig auszusprechen, um nicht über die Wörter zu stolpern. Sie zog den Mantel noch einmal gerade, schluckte kräftig und klopfte dann am Dienstboteneingang des Hauses am Torrington Square.
    Sie hatte sich genau zurechtgelegt, was sie sagen wollte, sobald sich die Tür öffnete. Doch sie musste noch einmal klopfen, lauter als beim vorigen Mal. Als die Tür endlich aufging, wäre sie fast ins Haus gefallen. Mit Mühe gelang es ihr, das Gleichgewicht zu halten. Lediglich zwei Handbreit vor ihr stand die Spülmagd, eine hellhäutige junge Frau, einen halben Kopf größer als sie, deren Haar sich aus den Nadeln gelöst hatte.
    Sie setzte zum Sprechen an und schüttelte dabei den Kopf. »Wir ha’m nix ...«
    »Guten Tag«, sagte Gracie im selben Augenblick und sprach weiter, als die andere innehielt. Auf keinen Fall durfte sie sich abweisen lassen. »Ich hab ’ne wichtige Mitteilung. Tut mir Leid, dass ich so kurz vor Mittag stör. Ich weiß, dass da schrecklich viel zu tun is, aber ich muss es unbedingt sag’n.« Sie brauchte keine Besorgtheit vorzuspiegeln. Die Tiefe ihrer Empfindung war wohl in jedem
ihrer Züge zu erkennen, denn sogleich zeigten sich Wohlwollen und Mitgefühl auf dem Gesicht der anderen.
    »Komm doch rein«, forderte sie Gracie auf und trat beiseite.
    Gracie wusste die Großzügigkeit dieser Geste zu schätzen und bedankte sich artig. Das war ein guter Anfang, genau gesagt die einzige Möglichkeit, wenn es überhaupt weitergehen sollte. Sie lächelte die andere schüchtern an. »Ich heiß’ Gracie Phipps. Ich komm’ aus der Keppel Street, gleich um die Ecke. Damit hat das aber nix zu tun. Es geht um was ganz anderes.« Sie sah sich in der gut gefüllten Vorratskammer um: Zwiebelzöpfe hingen von der Decke, Säcke mit Kartoffeln standen am Boden, und feste Weißkohlköpfe sowie verschiedene Wurzelgemüse lagen ordentlich auf Lattengestellen. Haken an den Wänden trugen an

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