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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Gracie hin. »Setz dich.« Sie wies auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches.
    Dottie ging zum Herd und schob den Wasserkessel in die Mitte der Herdplatte. Schon bald darauf begann er zu pfeifen.
    Ohne die kreisförmigen Bewegungen ihres Holzlöffels ein einziges Mal zu unterbrechen, fuhr Mrs Culpepper fort: »Na, kleines Fräulein ...« Sie hatte Gracies Namen bereits vergessen. »Für wen is denn die Mitteilung bestimmt?«
    Jetzt halfen keine Ausflüchte mehr. Aufmerksam sah Gracie zu der Köchin hin. Ihr Gesichtsausdruck konnte unter Umständen mehr verraten als Worte. »Martin Garvie«, sagte sie. »Das is ihr Bruder. Sie hat sons kein’ Mensch mehr. Die Eltern von den beid’n sind schon lange tot.«
    Das Gesicht der Köchin ließ außer der leichten Trauer, die von vornherein darauf gelegen hatte, nichts erkennen, und sie rührte den Teig so geschäftig wie zuvor, ohne dass ihre Hand auch nur einen Augenblick stockte.
    »Jammerschade«, sagte sie, ohne den Blick zu heben. »Der junge Mann is nich mehr hier, un ich kann auch nich sag’n, wo er sein könnte.«
    Gracie war sicher, dass das nicht der Wahrheit entsprach, doch merkte sie auch, dass sich die Frau eher unglücklich als schuldbewusst fühlte. Mit einem Mal empfand sie eine Angst, die sie förmlich schüttelte, und die angenehm warme, duftende Küche mit den heißen Feuerstellen und dampfenden Töpfen begann sich um sie zu drehen. Sie schloss die Augen, damit die Bewegung zum Stillstand kam.
    Als sie sie wieder öffnete, stand Dottie mit einer Tasse Tee in der Hand auf der anderen Seite des Tisches.
    »Kopf zwischen die Knie«, empfahl die Köchin.
    »Ich fall schon nich in Ohnmacht!«, sagte Gracie trotzig, war sich aber nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Zwar hatte sie keinerlei Grund zu bocken, behandelten diese Menschen sie doch sehr freundlich, aber sie wusste nicht, wohin mit ihren Empfindungen.
    »Wenn er nich hier is, wo is er dann?«
    »Das wiss’n wir nich«, sagte Dottie, bevor Mrs Culpepper mit ihrer Überlegung, was sie antworten sollte, zu Ende gekommen war. Sie warf dem Küchenmädchen einen tadelnden Blick zu, von dem Gracie nicht hätte sagen können, ob er sie aufforderte, ein Geheimnis zu bewahren oder niemandem unnötig Schmerzen zu bereiten.
    »Un warum solltes du das auch wiss’n?« Mrs Culpepper hatte die Sprache wiedergefunden. »Es geht dich doch nix an, wohin der gnä’ Herr seine Leute schickt, oder?«
    Dottie stellte den Tee vor Gracie hin. »Trink das«, sagte sie. »Natürlich nich, Mrs Culpepper«, fügte sie sich der Köchin. »Aber man könnte doch glau’m, dass Bellawas weiß.« Zu Gracie gewandt erklärte sie: »Das is unser Hausmädchen. Se konnte Martin gut leiden. Ich fand ’n auch nett ... aber nich so, wie du jetz denks«, fügte sie rasch hinzu.
    »Du has ’ne lose Zunge«, bemerkte Mrs Culpepper kritisch. »Falls Bella wirklich was weiß, muss sie dir nix davon sag’n, oder?«
    Dottie zuckte die Achseln. »Schon gut«, sagte sie ergeben. Dann umwölkte sich ihr Gesicht. »Aber ich möcht doch gerne wissen, was mit Martin is.«
    »Komm mir bloß nich so, du dummes Kind!«, brach es mit plötzlichem Groll aus Mrs Culpepper heraus, deren Gesicht mit einem Mal hochrot war. Sie stellte die Schüssel mit Nachdruck auf den Tisch. »Man sollte meinen, dass er tot oder sonstwas mit ihm los is. Nix is ihm passiert! Er is nich hier, weiter nix. Halt den Rand und tu was. Steh nich rum wie dein eigenes Denkmal! Geh un reib die alt’n Kartoffeln – man hat nie genug Stärke im Haus.«
    Achselzuckend strich sich Dottie das Haar aus der Stirn und trat den Weg nach unten in den Wirtschaftsraum an.
    »Da bin ich aber froh, dass ’m nix fehlt«, sagte Gracie mit der gebotenen Zurückhaltung. »Aber ich muss ’m doch trotzdem das mit seiner Schwester sag’n.« Ihr war klar, dass sie damit viel riskierte, aber ihr blieb keine Wahl. Bisher hatte sie nicht mehr als das erfahren, was sie bereits von Tilda wusste. »Irgendjemand muss doch wissen, wo er is, oder?«
    »Na klar doch«, erwiderte Mrs Culpepper und griff nach einer Backform sowie einem Stück Käseleinen, auf dem etwas Butter lag. Mit einer einzigen gekonnten Bewegung fettete sie die Form ein. »Aber ich bin das nich.«
    Gracie nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. »Tilda hat gesagt, dass er bei Mr Stephen Kammerdiener is. Hat der jetz ’nen neuen?«
    Mrs Culpepper hob abrupt den Kopf. »Nein. Aber fang bloß nich ... Dann wurden ihre

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