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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Zimmer, wo sie das Meer vom Balkon aus betrachtete. Gnazio bemerkte, dass sie still weinte.
    «Was ist geschehen? Warum weinst du?»
    «Resina ist fortgegangen.»
    «Fortgegangen? Wohin? Und wann kommt sie wieder?»
    «Sie kann nicht mehr wiederkommen.»
    «Weinst du ihretwegen?»
    «Ich weine nicht wegen Resina.»
    «Warum denn dann?»
    Maruzza antwortete nichts.
    «Wo ist Resina denn hingegangen?»
    «Zum Meer.»
    «Was will sie da?»
    «Sie tut etwas, das sie tun musste.»
    «Und sie hat sich nicht mal von mir verabschiedet?»
    «Doch, das hat sie. Sie gab dir einen Kuss auf die Stirn. Aber du hast geschlafen.»
    «Konnte sie denn nicht warten, bis ich wach war, und dann erst gehen?»
    «Sie hatte keine Zeit.»
    «Was war denn nur so wichtig, dass …»
    «Ich erzähle es dir», sagte Maruzza.
    Und sie erzählte es ihm.
    Und weil Gnazio sich nach ihrer Erzählung nicht mehr auf den Beinen halten konnte und verzweifelt weinte, lud sie ihn sich über die Schulter und brachte ihn ins Schlafzimmer, legte ihn aufs Bett, tröstete ihn, indem sie seine Hände streichelte. Und nach all der langen Zeit, da sie es nicht mehr getan hatte, fing sie leise an zu singen. Die ersten Worte waren genau die gleichen wie in Resinas Lied, das von der Grotte auf dem Grund des Meeres erzählte, dann sprachen die Worte von einer Sirene, die vorübergehend an Land lebte, sich aber schließlich ins Meer warf, um einen Ertrinkenden zu holen und in diese Grotte zu bringen, und dass der Ertrinkende …
     
    Am Nachmittag des sechsundzwanzigsten Juli neunzehnhundertvierzig erschienen im Haus in Ninfa Calorio und Ciccina mit vom Weinen geröteten Augen. Sie ließen Gnazio und Maruzza im Esszimmer Platz nehmen und setzten sich ebenfalls hin. Dann fing Calorio an zu sprechen; er sagte, der Krieg sei immer etwas Verabscheuungswürdiges, und es würden immer auch Unschuldige aufgrund irgendeines Irrtums sterben. Und so fuhr er fort zu sagen, das Radio habe mitgeteilt, dass die Deutschen irrtümlich ein neutrales Dampfschiff namens
Lux
versenkt hätten, von den Passagieren habe keiner überlebt. Da hob Gnazio einen Arm, Calorio schwieg, und Gnazio sagte:
    «Wenn ihr gekommen seid, um uns zu sagen, dass Cola mit diesem Schiff untergegangen ist, so wussten Maruzza und ich das schon. Doch wenn es euch ein Trost sein kann, dann will ich euch sagen, dass Cola lebt und es ihm bei Resina gutgeht.»
    Calorio und Ciccina blickten sich an. Sie hatten den gleichen Gedanken. Der Schmerz um Colas Tod und Resinas Verschwinden hatte Gnazio in den Wahnsinn getrieben. Aber wie kam es, dass auch Maruzza so ruhig war?
    War auch sie wahnsinnig geworden?
     
    An einem Vormittag des Monats August neunzehnhundertzweiundvierzig wurde Vigàta von englischen und amerikanischen Flugzeugen bombardiert, und zwar mit einer Intensität, dass auch das Haus in Ninfa wackelte, als wäre ein Erdbeben ausgebrochen. Als der Bombenangriff vorüber war, sagte Maruzza:
    «Ich nehme jetzt das Maultier und reite in den Ort. Ich will sehen, wie es unseren Kindern und Enkeln geht. Und dann will ich auch nachsehen, ob das Haus meiner Urgroßmutter Minica noch steht.»
    Nach ungefähr drei Stunden kehrte sie mit einem Sack zurück. Den Kindern und Enkeln war nichts passiert, und Minicas Haus stand noch.
    «Was hast du da in dem Sack?»
    «Die Kleider meiner Urgroßmutter.»
    Sie wusch und bügelte sie und hängte sie in den Kleiderschrank.
     
    In einer Novembernacht des Jahres neunzehnhundertzweiundvierzig kam ein großer Sturm auf. Der Wind riss ein paar Mandelbäume aus der Erde. Das Tosen des Meeres war so stark, dass Gnazio kein Auge zumachen konnte.
    Zwei Tage später, um die Mittagszeit, als das Schlimmste vorüber war, tauchte ein Fischer auf, der seit Jahren die Straße herunterkam, um ans Meer zu gelangen. Er war verlegen, er sagte, ihm wäre etwas Merkwürdiges passiert. In der Sturmnacht sei wegen des aufgepeitschten Meeres die Ankerkette seines Bootes gerissen und das Boot wäre abgedriftet. Doch am folgenden Tag habe die Besatzung eines Motorboots aus Vigàta sein Boot weit draußen gesehen, es in den Hafen zurückgeschleppt und ihn, den Eigner, benachrichtigt. Er habe nachgesehen, ob das Boot einen Schaden abbekommen habe, und – dem Himmel sei Dank – es hatte keinen. Er habe aber bemerkt, dass eine Brieftasche irgendwie in das Boot gelangt sei, und zwar völlig trocken, was er überhaupt nicht begreifen könne. Darin war lediglich eine Fotografie eines Jungen mit einem

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