Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
meldeten, nicht in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden sollten.
1942 wurde diese Abmachung einseitig aufgekündigt, zu viele Arbeitsplätze in Deutschland waren durch den Krieg vakant. Also wurde Druck ausgeübt und zusätzlich bemühte sich die deutsche Führung, den Arbeitseinsatz möglichst vorteilhaft zu verkaufen. In der belgischen Presse erschienen Anzeigen deutscher Rekrutierungsstellen mit propagandistisch geschönten Berichten glücklicher »Deutschlandfahrer«, die besonders den vergleichsweise hohen Lebensstandard und die zuvorkommenden Bedingungen im Reich betonten. Unter dem Titel: ›Europa arbeitet in Deutschland. Sauckel mobilisiert die Leistungsreserven‹ erschien eine Propagandaschrift des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel. 150 schöne Bilder sollten zeigen, welch angenehmes Leben »fremdvölkische« Arbeiter in Deutschland führten und wie ausgezeichnet sie versorgt würden.
Sauckels Erfolg beruhte nicht zuletzt darauf, dass die deutsche Arbeitseinsatzverwaltung in den besetzten Ländern »günstige« Bedingungen für die Rekrutierung schuf. Durch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen wurden einerseits systematisch Arbeitsplätze vernichtet, andererseits ein deutliches Lohngefälle im Vergleich zum Reich hergestellt beziehungsweise aufrechterhalten.
Sauckel, 1942 von Hitler zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt, blieb bis zuletzt treuer Anhänger Hitlers. Er war in den Jahren 1942/43 vor allem erfolgreich, indem er die Anwerbung von Arbeitskräften in den besetzten Gebieten systematisch auf Zwangsmaßnahmen umstellte. Als Mitverantwortlicher für den Zwangsarbeitereinsatz stufte ihn der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg als Kriegsverbrecher ein und verurteilte ihn zum Tode. Im Oktober 1946 wurde er gehängt.
Im besetzten Belgien waren die Arbeitseinsatzdienststellen mit etwa 400 Angestellten bestückt. Bis zum Frühjahr 1941 hatten sie etwa 190 000 Belgier, die sich »freiwillig« zur Arbeit nach Deutschland gemeldet hatten, ins Reich geschickt. Einer von ihnen war Renées Vater. Er ging dorthin, um seine Familie zu ernähren. Anschließend erfuhr die Familie monatelang nicht, wo er war.
Renées Vater war nicht der Einzige, der der Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit in Belgien entfliehen wollte und den Versprechungen der Deutschen erlag. Den belgischen und speziell den flämischen Arbeitern – vor allem sie wollte man gewinnen – wurde zugesichert, sie würden im Reich zu den gleichen Bedingungen arbeiten wie ihre deutschen Kollegen, sie erhielten die gleichen Lohn und Sozialleistungen. Es stand dann sogar ein höherer Betrag aufdem Lohnzettel als bei ihren deutschen Kollegen, wenn die Arbeiter Anspruch auf Trennungszulagen hatten, wenn sie zuhause Frau und Kinder zurückließen. Diese Regelung galt allerdings nur für die Arbeitskräfte aus den befreundeten Staaten und für jene, die auf der Rasseskala der Nazis weit oben standen wie die Skandinavier und die Flamen. Bei den deutschen Kollegen stieß diese Regelung im Übrigen oftmals auf Unverständnis.
Der Lohn, der Renées Vater und den anderen belgischen Arbeitern zustehen sollte, nahm jedoch einen eigenwilligen Weg. Die deutschen Unternehmen bezahlten den vereinbarten vollen Lohn. Anschließend jedoch wanderten sowohl Lohnsteuer als auch die Sozialabgaben in die Reichskasse und die Kassen der jeweils zuständigen Ämter. Auch der Teil, den die Arbeiter als Unterhalt an ihre Familien überwiesen, erreichte diese nicht sofort, sondern ging auf ein Sammelkonto des deutschen Staates. Das Geld, das die Angehörigen schließlich in Belgien erhielten, wurde ihnen in belgischen Franc aus dem Besatzungskostenhaushalt ausgezahlt. Das heißt, das Geld, das die Familien erreichte, bezahlte wiederum die belgische Volkswirtschaft.
Foto aus Adys Werksausweis von Daimler-Benz in Antwerpen.
Diese staatliche Unterschlagung von Lohngeldern wurde nicht nur in Belgien praktiziert. Genauso wurde verfahren gegenüber Holland, Frankreich, Kroatien, Serbien, Böhmen und Mähren und der Slowakei, später auch gegenüber Italien. Die besetzten Länder bezahlten also nicht allein mit ihrer Wirtschaft. Sie bezahlten die Besatzung auch durch ihre eigenen Arbeitskräfte, die in und für Deutschland arbeiteten – und die dadurch der heimischen Wirtschaft fehlten.
Offiziell wurden die einbehaltenen Gelder zwar auf einem speziellen Konto in Belgien gutgeschrieben,
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