Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
in anderen Lagern der Nazis: am unteren Ende der Hygiene-Skala, entwürdigende Behandlungen, mit denen die Gefangenen überzogen wurden, Menschen verachtend. Haben Ady und ihre Begleitung womöglich Pakete nach Mechelen gebracht – Angehörigen war es erlaubt, Pakete zu schicken –, Lebensmittel und Kleidung für die Gefangenen? Oder haben diese harmlos scheinenden Ausflügler gar Chancen ausgelotet, Gefangene zu befreien?
Vielleicht war der Ausflug aber auch einfach nur harmlos, ohne Hintergrund, ohne politisches, ohne humanitäres Ziel. Einfach nur ein Ausflug, zum Spaß an einem schönen Sonntagnachmittag.
Für Ady war die Landpartie aus einem ganz anderen Grund höchst spannend. Auf der Rückseite eines der Bilder notierte sie den Namen des Mannes, der neben ihr sitzt: Juppi. Die Bilder waren mir aufgefallen, weil eines in der Mitte entzweigerissen ist und eine Hälfte fehlt. Das zerrissene Bild ist noch einmal komplett vorhanden, es zeigt Ady, zwei weitere Frauen und zwei Männer. Einer davon war der blonde Jupp.
Ady lernte Juppi etwa um diese Zeit kennen. Von Renée wissen wir, dass Jupp ebenfalls bei Daimler arbeitete, und dort werden sich die beiden das erste Mal begegnet sein. Jupp ist groß, sieht gut aus und er hat Arbeit, was in diesen Zeiten nicht unwichtig ist. Aber es gibt einen kleinen Haken: Er ist Deutscher. Was er bei Daimler genau macht, weiß Ady zu Anfang nicht, sie sieht ihn immer dann, wenn er etwas in ihrer Abteilung abzuholen oder zu liefern hat. Er fährt einen Lkw und transportiert Fuhren vom Flughafen Deurne nach Mortsel und von der Vredebaan sonst wohin. Die anderen Deutschen rufen ihn Jupp, Jupp Kocyan.
In Adys Koffer fanden wir einige Unterlagen, die etwas überJuppi erzählen, einige wenige Briefe, Fotos und seinen Führerschein, der auch sein Geburtsdatum verrät: Jupp ist als Josef Kocyan in Bottrop geboren, am 7. November 1913. Auch sein Zeugnis von der Gesellenprüfung als Feinmechaniker vom 14. März 1932 lag dabei. Anscheinend war er kein besonders guter Schüler. Seine allgemeinen Kenntnisse wurden mit »genügend« bewertet, seine Fachkenntnisse allerdings mit »fast gut«, das gleiche Ergebnis erzielte sein Gesellenstück.
Vermutlich schenkte Jupp dieses Bild Ady. Auf der Rückseite notierte er seine Heimatadresse. Die Feldpostnummer 19 583 ordnet ihn dem Front-Reparaturbetriebs-Generalluftzeugmeister (GL.) Antwerpen zu. Luftgaupostamt Brüssel.
Diese Bilder und Jupps Anwesenheit auf den Fotos gaben den entscheidenden Hinweis, dass Ady nicht erst 1944, wie das ihr Werksausweis belegt, bei Daimler anfing zu arbeiten, sondern bereits zwei Jahre zuvor. Vermutlich hatte sie vorher einen anderen Werksausweis besessen, im Jahr 1944 wurde ihr ein neuer ausgestellt.
Was ist mit der Möglichkeit, dass die Gruppe in Mechelen den Plan verfolgte, Gefangene zu befreien? Hätte Jupps Anwesenheit solch einen Plan ausgeschlossen? Nicht unbedingt. Natürlich wardie Frage, ob sie ihn, den Deutschen, dann mitgenommen hätten, ob sie ihm trauen konnten. Wahrscheinlich nicht – wie schnell, wie gut lernt man Arbeitskollegen wirklich kennen, schon gar unter diesen Bedingungen? Aber wären sie am Ende nicht sogar unverdächtiger in Begleitung eines Deutschen gewesen?
Die Frage bleibt unbeantwortet. Aber mir scheint trotz aller Möglichkeit Ady die Falsche für solch einen Plan gewesen zu sein. Anscheinend wollte sie den Mann näher kennenlernen, der da mit dem Rücken zu ihr sitzt und doch ihr stärker zugewandt scheint als den anderen auf der Decke.
Doch als Widerstandskämpferin kann ich sie mir beim besten Willen nicht vorstellen – alles Wagemutige, Kaltblütige, ausschließlich auf das eine Ziel Orientierte, scheint ihr zu fehlen. Und doch: Waren nicht immer wieder Menschen für andere eingetreten, denen man es zuvor nie zugetraut hätte, geleitet allein von ihrem christlichen oder humanitären Wertekanon, nach dem es in der entscheidenden Stunde keine Fragen, kein Überlegen mehr gibt?
Bommen op Mortsel
Zum Reparaturbetrieb in Mortsel gehörte ein eigener Jägerschwarm, der angreifende Feindflugzeuge der Briten und Amerikaner attackieren und in die Flucht schlagen sollte. Mit dem Kampfflieger Bf 109 wurden Experimente als Abfangjäger gegen hochfliegende US-Bomber durchgeführt. Durch Einspritzen von flüssigem Sauerstoff in den Motor ließen sich die Steigleistung und die Einsatzhöhe entscheidend verbessern. Der ERLA-Chefpilot Hans Fay erzielte am 11. März 1943 mit einer
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