Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
ab. »Es war ein schwarzer Tag, als ein Testpilot von ERLA bei einem Absturz starb, der Fehler lag am Motor. Der Supervisor der Kontrollsektion, ein Mann aus Bayern, wurde an die Front nach Russland strafversetzt. Der neue war ein Herr Eiser aus Berlin-Spandau. Es war wirklich eine Schande für das Werk, denn normalerweise waren die deutschen Männer sehr gute Mechaniker.«
Dieser Herr Eiser aus Berlin-Spandau blieb Renée noch aus einem anderen Grund im Gedächtnis. Eines Tages machte er ihr ein Angebot: Er fahre nach Hause nach Spandau und er könne für ihren Vater etwas mitnehmen. Seit einiger Zeit wusste Renées Familie, dass der Vater in Bitterfeld war. Eiser bat sie jedoch, sie dürfe ihrem Vater auf keinen Fall vorher schreiben. Briefe aus dem besetzten Ausland wurden kontrolliert und Hinweisen auf mögliche Kumpanei mit Zwangsarbeitern wurde nachgegangen.
Renée fertigte diese Liste an mit den Namen der deutschen Mitarbeiter in Mortsel 1942 bis 44. In der linken Spalte die Namen von Willy Esmajor, Jupp Kocyan und Helmuth Berthold, ihrem Chef.
Der Winter 1943 stand vor der Tür, und Renées Mutter suchte einen Wintermantel heraus, den der Vater gut würde brauchen können. Eiser schickte den Mantel mit seiner deutschen Adresse als Absender an Renées Vater, und dieser bedankte sich erfreut für die gelungene Überraschung.
Nach erfolgreicher Reparatur bekamen Ady und ihre Kolleginnen die Reparaturzettel auf den Tisch und ergänzten die Nummern der eingebauten Ersatzteile bei den jeweiligen Motoren. Abends gaben sie dann die Liste der reparierten Motoren inklusive aller Nummern per Telefon weiter, Adys Ansprechpartnerin war wie schon erwähnt Renée. Anfangs war die Führung der Logbücher eine Sache großer Geheimnistuerei, erzählte Renée, als wir in Mortsel vor dem Tor standen, nur Deutsche durften sie in die Hände bekommen. Die Akten lagerten im Keller des »Mutterhauses«. Nach und nach ließ das Misstrauen nach, und auch Flamen wurde zugetraut, die Einträge exakt vorzunehmen. Anscheinend erschien den Besatzern Renée vertrauenswürdig genug für diese Aufgabe.
Sie sprach einmal davon, dass sie aus Sicherheitsgründen eine Zeitlang sogar im Keller arbeiten musste, die Logbücher also gar nicht nach oben holen durfte.
Das Misstrauen war nicht unbegründet. Immer wieder kam es zu Sabotageakten. Mechaniker, die unter Umständen zwar die deutsche Technik bewunderten, aber die Nazis verachteten, setzten kleine oder größere Nadelstiche: Mal löste sich das Glas eines Cockpits beim Start – Renée erinnert sich, dass es ein ganz junger Arbeiter verschuldet haben sollte –, ein andermal verschwand bei Daimler ein ganzer Satz geheimer Dokumente und musste aus Berlin erneut eingeflogen werden. Bei der Vorstellung daran wird die Erklärungsnot der Verantwortlichen geradezu körperlich spürbar.
Renée war kontaktfreudig und in positivem Sinne neugierig. Sie bewegte sich auf dem Gelände, soweit sie das durfte, und erfuhr wegen ihrer Nähe zu den Mechanikern und Ingenieuren sowohl einiges aus deren Privatleben als auch über die Abläufe im Betrieb. Ady war da anders, zurückhaltender. Aber sie arbeitete in größerer Nähe zu den Mechanikern und hat daher auch einiges gesehen und gehört. Und Ahndungen von Verfehlungen von Arbeitern oder gar Sabotageakte sprachen sich schnell herum.
Jedoch nicht alles, was nach Sabotage aussah, war auch eine. Die belgischen Arbeiter wurden nicht immer genügend angelernt. Wenn sie sich unverschuldet aus Unkenntnis verletzten, wurde nicht selten solch ein Unfall als Versuch geahndet, sich aus dem Arbeitsverhältnis zu mogeln. Beschädigten Arbeiter aus Versehen ein Werkstück, konnte es passieren, dass sie der Sabotage verdächtigt wurden. Sowohl das eine als auch das andere »Vergehen« wurde hart bestraft.
Aufgebockt warteten in großen Hallen die Jagdflugzeuge in Reihen auf ihre Fertigstellung. Ein Depot hielt Ersatzteile auf Lager,von der Benzinleitung bis zu den 300-Liter-Brennstofftanks und den 250-Kilo-Bomben, mit denen die Bf 109 bestückt wurden, wenn sie den Reparaturbetrieb wieder verließen. Im Juni 1943 meldete ERLA Mortsel stolz an das Heimatwerk Leipzig, dass seit Juli 1940 der 2000-ste Flieger nach der Überprüfung abgeliefert worden sei. Acht Monate später rollte bereits die 3000-ste Maschine fertig aus den Werkstätten an der Vredebaan.
Jupp (2. v. li.) in Mortsel neben aufgehängtem Motorblock.
Mit fortschreitender Kriegsdauer stieg die
Weitere Kostenlose Bücher