Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Front-Reparaturbetrieb von Daimler an den Start.
Renée brauchte nicht überredet zu werden, mit mir nach Mortsel zu fahren, dahin, wo sie im Krieg gearbeitet hatte. Wir bestiegen die Straßenbahn und ließen uns hinauskutschieren. Unterwegs erzählte mir Renée, dass sie damals den gleichen Weg zurücklegte, jeden Tag von Ekeren-Donk bis nach Mortsel. Morgens hin und abends wieder zurück. Das muss gedauert haben, damals. Wir waren in Antwerpens Mitte zugestiegen, und noch immer benötigten wir für die Fahrt etwa eine Dreiviertelstunde. Der Weg von der Haltestelle, an der wir aussteigen mussten, bis zum ehemaligen Daimler-Werk war recht lang. Aber Renée mit ihrem Stock beruhigte mich: Damals habe sie die Strecke mühelos zurückgelegt.
An einer Ecke deutete Renée mit ihrem Stock auf das Straßenschild und fragte mich, ob ich wüsste, was das auf Deutsch bedeute. Vredebaan stand darauf, so lautete die Adresse des Front-Reparaturbetriebs F. R. B.-GL. Ausgerechnet an der Vredebaan, der Friedensstraße, wurden während des Krieges die Jäger wieder hergerichtet, damit sie ihrem mörderischen Auftrag erneut nachkommen konnten.
Das Gelände, die Hallen existieren noch. Das Haupttor, durch das Renée damals täglich zur Arbeit ging, war verschlossen. Rechts davon steht noch immer das Hauptgebäude, das sogenannte »Mutterhaus« von Daimler. Wir konnten nur durch das Gitter spähen. Das Gelände, die Gebäude, die Hallen, alles stand leer.
»Die großen Bosse waren Deutsche, die Belegschaft, das waren Belgier. Selbstverständlich lief alles auf Deutsch«, beschrieb Renée die Situation. Man engagierte eine Vielzahl flämischer Arbeiter, die Erfahrung mit Motoren mitbrachten, das Weitere wurde ihnen in Schulungen vermittelt. Auch Jugendliche direkt von der Schulbank wurden eingestellt und ausgebildet. »Die deutschen Mitarbeiter waren keine Soldaten, aber alle waren Spezialisten in Mechanik.« Sie waren zumeist in zivil, nur selten trugen einige Uniformen. In der Eingangshalle, nicht zu übersehen und nicht zu vermeiden, stand die obligate Hitlerbüste.
»Die belgischen Mitarbeiter hatten ihre Kantine, die deutschen ihre eigene, und die Chefs hatten eine sehr schöne Kantine«, erinnert sich Renée. Dennoch hatte man ständig miteinander Kontakt.
Die defekten Flugzeuge kamen mit mehr oder weniger deutlichen Spuren der zurückliegenden Luftkämpfe per Bahn nach Mortsel. Die Jäger wurden geprüft, Ersatzteile eingebaut oder Flugzeuge in Gänze vom Rumpf bis zum Motor neu aufgebaut. Neben der Bf 109 wurden auch die legendären Stukas eingeliefert, die Sturzkampfbomber Ju 87, bis Junker im April 1941 ein eigenes Reparaturwerk in Courcelles, südlich von Brüssel, errichtete.
Besonders der Motor DB 601 hatte sich durchgesetzt, er gehörte zu den zuverlässigsten und robustesten deutschen Flugmotoren des Zweiten Weltkriegs. Er arbeitete mit Benzineinspritzung, was Vorteile bei extremen Fluglagen bot und war hängend angeordnet, um dem Piloten eine bessere Sicht zu geben. Er war in den Jägern Me 109 genauso eingebaut wie in den sogenannten »Schnellbombern« He 111, mit denen die Legion Condor 1936 Schrecken und Tod nach Guernica und in andere spanische Städte gebracht hatte. Über einTor gelangten die ausgebauten Motoren von ERLA zu Daimler. Die Jägermotoren wurden gereinigt, defekte Teile ausgetauscht, durchgemessen und getestet. Das Geheul der Motoren auf den Prüfständen war noch 15 Kilometer entfernt zu hören. Anschließend wurden die Motoren wieder in die reparierten Jagdflugzeuge eingebaut und von Testpiloten Probe geflogen.
Weihnachtsfeier bei Daimlers – nur für die Herren (vorne, 2. v. li. Jupp Kocyan).
Ein Logbuch gab Auskunft über den Lebenslauf des jeweiligen Motors, über die gelaufenen Betriebsstunden, durchgeführte Wartungen oder bereits ausgetauschte Ersatzteile. Eine derjenigen, die die Logbücher verwaltete, war Renée.
Egon Ewald war Chef der technischen Abteilung, Chef der kaufmännischen Abteilung war Herr Rehmet, schrieb mir Renée, als ich wieder zuhause war. Daneben gab es noch die unabhängig arbeitende Sektion »Kontrolle«, die bei den deutschen Männern nicht sonderlich beliebt war. Sie stand am Ende der Prüfung und hier war die letzte Instanz, der Ingenieur Günther Heinz.
Trotz aller Kontrollen passierten Unfälle, erwähnte Renée. Dann fuhr sie grinsend fort: »Die meisten Schäden entstanden durchBauchlandung.« Allerdings gingen die Zwischenfälle nicht immer glimpflich
Weitere Kostenlose Bücher