Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Bf 109 eine Flughöhe von circa 14 Kilometern, wie Jean Dillen in Antwerpen recherchierte.
Im November 1943 beglückwünschte Generalfeldmarschall Milch den ERLA-Industrie-Jägerschwarm, eine Spitfire und zwei viermotorige Feindbomber abgeschossen zu haben, und sprach den erfolgreichen Piloten seine besondere Anerkennung aus.
Am Sonntag, dem 4. April 1943, verabredete sich Ady im Zoo. Anfangs war sie nicht sicher, ob sie wirklich zu einer Veranstaltung anlässlich des Tages der Wehrmacht gehen sollte. Eine Freundin sagte aus diesem Grund ab, nej, dahin gehe sie nicht. Aber Jupp hat gebettelt, es sei doch egal, es sei doch nur Musik, und also gab Ady nach. Sie wählte das leichte graue Kostüm und die dünnen Schuhe aus und hoffte, dass das Wetter hält. Nun scheint die Sonne, es ist ein klarer, lichter Tag. Viele Menschen sind in den Tierpark gekommen, alle in Frühlingslaune, die Kinder zum ersten Mal in diesem Jahr in kurzen Strümpfen. Es scheint, als solle die helle Kleidung, die Sonne und die leichten Schritte der Spaziergänger auf den Wegen den Gram des Krieges zumindest an diesem herrlichen Tag für diese wenigen Stunden übertünchen. Die Erwachsenen plaudern mit Bekannten, die Kinder nutzen die Momente und jagen sich zwischen den Grüppchen der Großen, die mit sich beschäftigt sind.
Jugendliche sammeln für das Winterhilfswerk und ein Redner vorne neben dem Podium ruft zum Gedenken an die gefallenen Helden auf. Die Deutschen haben extra zum heutigen Tag eine Briefmarke herausgebracht mit einem der Zeit entsprechenden Motiv – Jagdbomber stürzen sich halsbrecherisch auf eine feindliche Industrieanlage.
Während des Platzkonzerts verweht leichter Wind die Töne, Schals und Schleifen flattern über den Köpfen, Strohhüte werden im letzten Moment festgehalten. Ady hört nur mit einem halben Ohr zu. Jupp neben ihr neigt sich zu ihr herüber und bietet ihr Konfekt aus einer Papiertüte an, sie ist eingerissen und Jupp klaubt die klebrige Schokolade einzeln aus seiner Jacketttasche. Als sie immer lauter kichern, ernten sie Gezische von den Umsitzenden.
Draußen in Mortsel findet ohne sie eine andere Gedenk-Veranstaltung statt. Der Todestag von Carl Benz jährt sich zum 24. Mal. Und später werden sie hören, dass bei einem britischen Luftangriff auf die Renault-Werke in Billancourt bei Paris 228 Menschen umgekommen sind.
Jupp verabredet sich mit Ady auch für den nächsten Tag, nach der Arbeit. Auch der verspricht wieder ein wunderbarer Frühlingstag zu werden. Ady besteigt in aller Früh die Straßenbahn nach Mortsel, ganz hinten im Wagen trifft sie wie jeden Morgen Renéeund andere Kolleginnen von Daimler. In Mortsel laufen sie tratschend durch die morgendliche Straße zu ihren Büros und Werkstätten. Den ganzen Tag über scheint die Sonne, es ist warm und die Frauen und jungen Mädchen setzen sich auch während ihrer Nachmittagspause nach draußen auf die Bänke.
Silvesterfest, Jupp Kocyan (Mitte) an der Bar.
»Plötzlich kamen die Chefs, alles Deutsche natürlich, angerannt und schrien, das wäre ein Angriff.« Renée schrieb das auf, als sie mir den ersten Brief schickte. »Wir liefen zum Bunker. Zuerst haben wir einige Flugzeuge gesehen, die weiße Ringe am Himmel machten, wir wunderten uns, warum sie das taten, wir dachten, es seien die Testpiloten. Aber mittlerweile hatte der Wind aufgefrischt und die weißen Ringe wehten mehr zur Ortschaft Mortsel hinüber, wo mehrere Schulen waren. Die amerikanischen Bomber wurden durch deutsche Kampfflugzeuge angegriffen und die Bomben fielen ein, zwei Sekunden zu spät, sodass nicht Daimler und ERLA, die das Ziel waren, getroffen wurden, sondern Mortsel.«
Das Zentrum von Mortsel liegt nur wenige hundert Meter vom Betriebsgelände entfernt, am Ende der Vredebaan. Die Nähe wirdden Bewohnern von Mortsel an diesem Montag, dem 5. April 1943, zum Verhängnis.
Das eigentliche Ziel, die Luftwaffen-Front-Reparaturbetriebe von ERLA und Daimler-Benz und die dort aufgereihten Jagdflugzeuge bleiben verschont. Nur dank des Windes entkommen Renée und Ady und all die anderen Mitarbeiter dem Tod. Die 223 Tonnen – andere Quellen sprechen von 245 Tonnen – Bomben gehen auf das Zentrum von Mortsel nieder. Es wird komplett zerstört, 936 Zivilisten finden den Tod, darunter 209 Schulkinder. Es ist eine der großen Tragödien des Zweiten Weltkrieges.
Den ganzen Tag über werden Verwundete versorgt und Leichen geborgen. Jedes Auto, selbst die Straßenbahn wird
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