Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Osten. Rommel, der »Wüstenfuchs« und einstige Liebling des Führers, war hellsichtig und forderte im Juli 1944 Hitler in einem Brief auf, aus der Lage die Konsequenzen zu ziehen und den Krieg zu beenden. Die Antwort kennen wir, sie hat Deutschland in ein Trümmerfeld verwandelt und mehr Menschenleben gefordert, als während des Krieges bisher gestorben waren.
Für die Frauen in Antwerpen heißt es zu packen. Neben der Frage, wohin sie kommen werden, nach Verviers, Köln oder Frankfurt am Main, beschäftigt sie in diesen prekären Zeiten, in denen es nichts zu kaufen gibt, die Frage, was sollen sie mitnehmen. Wie lange wird ihre Abwesenheit dauern? Die normale Verpflichtungsdauer war ein Jahr. Renées Vater war jedoch bereits an der dritten Station eingesetzt und seit bald drei Jahren nicht mehr zuhause. Urlaub war nicht garantiert, also würde es kaum eine Gelegenheit geben, später noch wärmere Kleidung für den Winter nachzuholen.
Die Mütter helfen, die benötigte Kleidung in Ordnung zu bringen. Blusen und Röcke werden noch schnell enger gemacht, ein Jackett von Firmin zum Jäckchen für Ady umgearbeitet. Jedes Stück wird kontrolliert, Knöpfe neu angenäht und Säume nachgebügelt. Es will gut überlegt sein, wie viel man mitnimmt. Von solch federleichten Materialien für Jacken und Mäntel wie es sie heute gibt, konnten die Frauen damals nur träumen. Allein die Taschen und Koffer waren keine Leichtgewichte, sie wogen bereits etliches und waren sperrig und ohne Rollen zu transportieren. Was man also mitnahm, musste man tragen – und ein Wintermantel aus schwerem Wollstoff wog einige Kilo. Renée beschließt dennoch, ihn gleich mitzunehmen. Sie kennt das durch ihren Vater: Wer weiß, ob sie später Gelegenheit haben wird, an ihren Mantel zu kommen. Auch Ady packt warme Sachen ein, auf Anraten von Maria auch den warmen Mantel.
Verviers
Renée kann sich an das Datum der Abreise nicht mehr erinnern, nur noch daran, dass es ein Sommertag war. Durch die Stadt weht ein laues Lüftchen schon am frühen Morgen, doch der Tag der Abreise ist ein trauriger Tag. Maria bringt Ady zum Bahnhof. Sie trägt eine Tasche zur Straßenbahn, Ady einen großen Rucksack, zwei Koffer hat Jupp bereits früh am Morgen mit seinem Laster abgeholt und am Bahnhof deponiert. Maria ist gefasst, Ady lehnt wie gläsern neben ihr im Sitz.
Am vereinbarten Bahnsteig sammeln sich die Daimler-Mitarbeiter. Ein ganzer Zug ist reserviert und wartet am Bahnhof. Was noch nicht im großen Maßstab verschickt werden konnte, wird nun in die Abteile verladen: Büromaterialien, Kisten und Truhen mit Firmeneigentum. Es ist alles organisiert: wo Fracht untergebracht wird, wer darauf achtet und wer mit wem ein Abteil teilt.
Jupp ist bereits mit seinem Lkw unterwegs, Ady hat ihn in der Früh ein letztes Mal umarmt. Die Gruppen finden sich zusammen, die Männer und Frauen verstauen ihr Privatgepäck im Gang und in den Abteilen, richten sich ein.
Dann ist alles untergebracht, die letzten Minuten vor der Abfahrt wollen fast nicht vergehen und sind mit einem Mal vorbei. Ady halst und streichelt ihre »kleine Mutter«, sie will sie schier nicht loslassen. Renée hat sich bereits zuhause von ihrer Mutter verabschiedet, ihr Bruder ist bei ihr, auch er reist mit nach Verviers. Überall am Bahnsteig Tränen, letzte Abschiedsworte.
Ady war alles andere als eine Abenteurerin, sie brauchte die Sicherheit, die ihr das vertraute Umfeld verlieh. Vielleicht wäre sie ohne Jupp nicht gegangen. Nicht unbedingt aus Antipathie gegenüber den Deutschen oder den Nazis, sondern weil ihr der Mut fehlte, ins Unbekannte aufzubrechen.
Ob sich Jupp damals vorstellen konnte, welche Verantwortung er auf sich nahm? Beide konnten im Sommer 1944 nicht ahnen, wie sehr sie die folgenden Monate aneinander binden sollten und was auf sie zukam.
Unsere Gespräche bei meinem Besuch bei Renée in Antwerpen nahm ich mit meinem Bandgerät auf, damit wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Es war schwierig, Renée zu verstehen, da sie stark erkältet und sehr heiser war. Immer wieder blieb ihr einfach die Stimme weg. Trotzdem sprach sie unentwegt weiter, wenn sie sich an etwas erinnerte. »Das war dort in Verviers ganz außerhalb der Stadt.« Ich verstand nicht gleich und fragte: »Wegen der Luftangriffe?« »Nei,« antwortete Renée, »die mussten Platz haben.«
Verviers in den 30er-Jahren.
In Verviers richtete sich der Front-Reparaturbetrieb erst einmal ein.
Kaum waren sie angekommen,
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