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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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Auf Adys Ortsliste stehen die Namen von Wiesbaden, Frankfurt und Walldorf. Südlich der Stadt, am Rand des Flughafens, lag im Wald von Mörfelden eine Eisenbahnstrecke, ein Bahnhof und das Konzentrationslager Walldorf, ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass. Ab dem 22. August, also etwa zu dem Zeitpunkt, als die belgischen Frauen im Wald bei Frankfurt waren, verrichteten 1700 jüdische Mädchen und Frauen aus Ungarn am Frankfurter Flughafen Ausbau- und Reparaturarbeiten an den Rollbahnen. Die Sommerkleider, mit denen die jüdischen Häftlinge in Frankfurt ankamen, wurden während der gesamten Zeit nicht durch angemessene Bekleidung ersetzt, eine der Häftlingsfrauen berichtete, sie hätten sich, da sie nichts anderes hatten, aus Zementsäcken einen Schutz gegen den Wind genäht.
    Am 24. November 1944 wurde das Lager in Walldorf aufgelöstund die überlebenden etwa 1650 Frauen ins KZ Ravensbrück überstellt. Die meisten von ihnen erlebten das Kriegsende nicht.
    Renée erinnert sich an männliche Häftlinge. Die Frauen aus dem Lager Walldorf konnten es also nicht gewesen sein, die ihnen am Morgen begegnet waren. In und um Frankfurt gab es noch weitere Lager, verschiedene Arbeitslager und ein weiteres Außenlager des KZ Natzweiler, das zu den Adler-Werken gehörte.
    Es ist jedoch auch möglich, dass ihre Erinnerung Renée einen Streich gespielt hat. Das Wort »Konzentrationslager« funktioniert wie ein Codewort, es löst bei jedem im 20. Jahrhundert geborenen Europäer spezifische Assoziationen aus. Im Lauf der Jahre mögen sich diese Bilder mit dem schockierenden Erlebnis im Wald vermischt haben. Bilder von erbarmungswürdigen Gestalten in Häftlingskleidern und schlechten Schuhen.

Von Frankfurt nach Schlesien
    Ady und die verirrte Bierrunde am Abend zuvor schwebten in größerer Gefahr, als ihnen bewusst war. Seit Stalingrad und der sich verschlechternden militärischen Lage ging unter Deutschlands Sicherheitsorganen die Angst um. Man befürchtete ein »Losschlagen« der Fremdarbeiter am Tag der Invasion. Ab dem Sommer 1944 wurde die Situation zunehmend unübersichtlicher. Die Luftangriffe der Alliierten trafen häufig auch die in der Nähe von Industrieanlagen errichteten Lager der ausländischen Arbeitskräfte, wodurch oftmals der Arbeitsplatz und die Unterkunft verloren gingen. Dadurch wuchs die Zahl der obdachlosen und unversorgten Fremdarbeiter in den Städten ständig an. SD und Gestapo fürchteten organisierte Aufstände der Fremdarbeiter, selbst dann noch, als sie zum Zeitpunkt der Invasion ausblieben.
    Die Alliierten forderten in Rundfunkansprachen die Fremdarbeiter auf, ihre Arbeitsstätten zu verlassen und aufs Land zu gehen, um sich vor den Luftangriffen in Sicherheit zu bringen, aberauch, weil sie vereinzelt den Nachstellungen der deutschen Sicherheitsdienste leichter entgehen konnten. Bei den deutschen Behörden führte dies keineswegs zu einer Beruhigung, sondern zu erhöhter Wachsamkeit und hysterischen Reaktionen. In den letzten Kriegsmonaten kam es zu einer sich ständig radikalisierenden Verfolgungswelle von ausländischen Arbeitskräften und Kriegsgefangenen. Es kam zu pausenlosen Absperrmaßnahmen, Überprüfungen und Razzien, an denen schließlich auch niedere Gestapochargen, Werkschutz und bewaffnete Volkssturmleute oder gar Zivilisten aus der Bevölkerung teilnahmen – das heißt, deren Einschüchterungsaktionen wurden gezielt mit eingeplant. Man suchte nach »Plünderern« und »Saboteuren«, vermutete »Terrorgruppen«, in denen sich untergetauchte Deutsche, die aus verschiedenen Gründen in der Illegalität lebten, und Ausländer, die auf sich allein gestellt waren, zusammengeschlossen haben.
    Dass der Ausflug ein glimpfliches Ende nahm, hatte die belgische Gruppe vermutlich dem Umstand zu verdanken, dass sie sich als im Lohnverhältnis bei Daimler-Benz stehend ausweisen konnten. Wäre allerdings den wachhabenden Soldaten bekannt gewesen, dass Renées Bruder in Verviers geflohen war, hätte es für Renée zumindest ernst werden können.
    Von Frankfurt ging es wieder im Zug weiter. In der Innenstadt waren nach den Bombenangriffen nur 50 Gebäude unzerstört, die Gleisanlagen zum Hauptbahnhof zerbombt. Möglicherweise waren die Gleise bis zum Sommer zumindest teilweise soweit hergestellt, dass vereinzelt Züge fahren konnten. Möglicherweise bestiegen sie ihren Zug an einem der Vorortbahnhöfe.
    »Zu dem Zeitpunkt wussten wir überhaupt nicht, wohin wir unterwegs waren.« Ich

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