Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
nach Russland zu folgen! Also wird sie kaum zögern, mit Ihnen nach Afrika zu gehen.« Als Frederick schwieg, fuhr der
Abbé mit sanftem Drängen fort: »Auf jeden Fall aber sollten Sie Ihre Beziehung legitimieren. Es bringt kein Glück, wenn man
in Sünde zusammenlebt, auch wenn man einander so liebt wie Sie beide.« Nachdem er diese Ermahnungpflichtbewusst ausgesprochen hatte, wandte er sich wieder dem Praktischen zu. »Natürlich sollten Sie unter den Umständen auch
die Hochzeit in einem kleinen, familiären Rahmen halten – weitab der Öffentlichkeit.«
Frederick stöhnte bei dem bloßen Gedanken an den Spießrutenlauf einer öffentlichen Zeremonie laut auf und schlug die Hände
vors Gesicht.
»Aber das ist ja auch kein Problem«, fuhr der Abbé fort. »Einen Priester haben Sie schon, Trauzeugen können zwei von den Mitarbeitern
der Apotheke sein, und meine Mädchen würde es sicher freuen, eine Hochzeit zu erleben.«
»Sie wären jedenfalls angenehmere Hochzeitsgäste als viele andere …«
Seine Gedanken kreisten durcheinander, wie in diesen kalten Wintertagen die Schlittschuhläufer auf der Alster ihre Arabesken
zogen. Wenn er Louise zu bewegen vermochte, in irgendeiner Stadt in den Kolonien eine Apotheke aufzumachen, konnte noch alles
gut werden. Dann wären sie weit weg von Hamburg, wo man in ihm doch immer den ehemaligen Zuchthäusler sehen würde, und könnten
ein ganz neues Leben anfangen. Scham und Selbstvorwürfe verblassten langsam und gaben dem Glücksgefühl Raum, dass Louise ihn
liebte, dass sie bereit war, ihr Leben mit ihm zu teilen.
Dass der geistliche Herr auch mit Louise gesprochen hatte, ahnte Frederick bereits und fand es bald bestätigt. Kaum hatte
der Abbé sich von ihm verabschiedet, erschien Louise in der Tür. Offenbar fiel es ihr nicht ganz leicht, die Worte auszusprechen,
deretwegen sie gekommen war. »Ich nehme an, Abbé Maxiant hat auch mit dir gesprochen?« Als er nickte, fuhr sie fort: »Ich
korrespondiere schon längere Zeit mit der Familie von Fräulein Becker, die in Swakopmund eine Apothekebetreibt. Sie schrieb mir, dass es mehrere Kleinstädte im Umkreis gebe, wo wir uns niederlassen könnten.«
Er griff nach ihren Händen, überglücklich über ihre Entscheidung. Als er sie jedoch an sich zog, krampfte ihm der Husten die
Brust zusammen, und obwohl er den Anfall mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte, brach es gewaltsam aus ihm heraus. Erschrocken
bei dem Gedanken, dass er sie anstecken könnte, schob er Louise von sich, aber sie hielt ihn fest. »Wenn du keine Angst vor
der Cholera hattest«, flüsterte sie, »warum sollte ich Angst vor der Schwindsucht haben? Lass uns nur zusehen, dass wir so
rasch wie möglich in ein trockenes Klima kommen.«
Er lehnte sich, erschöpft von dem schmerzhaften Husten, an das Kissen. »Woher weißt du es?«
»Eine Apothekerin muss die Symptome der häufigsten Krankheiten kennen.« Sie ließ ihn los, stand auf und kramte in dem zierlichen
Sekretär aus Rosenholz, in dem sie ihre Papiere aufbewahrte. Mit einem Kursbuch in der Hand kehrte sie zurück. »Ich habe nachgesehen.
Es geht jeden Monat ein Schiff nach Kapstadt, immer am Fünfundzwanzigsten. Zu Weihnachten allerdings nicht, also können wir
erst im Januar fahren. Von Kapstadt fährt ein Küstendampfer nach Swakopmund, das ist der Zielhafen für die deutschen Einwanderer
in Deutsch-Südwestafrika. Was hältst du davon?«
Er schloss halb die Augen. »Ich fürchte, dass ich träume und gleich aufwachen werde … Nichts wäre mir lieber.«
Sie beugte sich vor und schlang die Arme um seinen Hals. »Dann rufe ich jetzt unsere Vermögensverwalter an, sie sollen alles
arrangieren.«
Seine Hände umfassten die ihren, wärmten sie mit ihrem festen, zuversichtlichen Griff. Louise fühlte, wie ein warmerSchauder durch ihre Glieder lief. All die Sehnsucht, die sie monatelang unterdrückt hatte, spürte sie jetzt deutlich. Sie
hatte sich schmerzhaft nach seiner Nähe gesehnt und tat es noch immer. Sie sank an seine Brust und ließ zu, dass er sie in
die Arme nahm und leidenschaftlich küsste. Und sie schlüpfte zu ihm unter die Decke.
Sechster Teil
Teuflische Tücke
D ie P fefferkuchenmännchen
1
Am Heiligen Abend schneite es, und bald lag der Schnee dick und schwer auf den Fenstersimsen und den Dächern der Stadt. Eisige
Kälte umklammerte Hamburg. Die Alster war so dick gefroren, dass die Kinder darauf Schlittschuhlaufen
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