Die Frau des Diplomaten (German Edition)
keine Gedanken darüber gemacht habe. „Ich weiß nicht so genau“, gestehe ich. „Ich würde sagen, wir suchen nach der Oranienburger Straße, dann sehen wir uns da um, ob wir Marcelitis’ Wohnung finden, und schließlich überreden wir ihn, sich mit uns zu unterhalten.“
„Und wenn er nicht zu Hause ist?“, fragt Paul weiter. „Oder wenn er da ist, aber nicht mit uns reden will?“
„Keine Ahnung“, kann ich nur zurückgeben und beginne mich über seine Fragen zu ärgern. „Warum setzt du mir so zu?“
„Weil ich dich bitten möchte, noch einmal darüber nachzudenken. Du bist die Frau eines Diplomaten, Marta, keine verdammte Spionin.“ Ich wende mich ab, weil ich mich zu verletzt fühle. Paul hat einen schroffen Ton angeschlagen, den ich von ihm nicht kenne. „Ich weiß, du hast während des Krieges unglaublich mutige Dinge getan. Aber jetzt ist das eine andere Situation. Du hast eine Tochter.“ Du auch, möchte ich am liebsten sagen, damit er endlich die Wahrheit über Rachel erfährt. Aber das kann ich nicht, zumindest nicht jetzt. „Du musst ihretwegen an deine Sicherheit denken. Wenn wir erst einmal in Berlin sind, gibt es kein Zurück mehr. Und wenn die Russen ihre Drohung wahr machen und die Stadt blockieren, kommen wir nicht mehr von dort weg. Warum lässt du mich das nicht für dich erledigen?“
„Ich werde Marcelitis finden“, beharre ich.
Paul kratzt seinen Teller aus. „Warst du schon immer so stur?“
„Es ist fast dunkel“, stelle ich fest und trinke mein Bier aus. „Wir sollten jetzt gehen.“
Draußen begeben wir uns zum Motorrad. Paul will mir ungeschickt aufhelfen, und plötzlich ist der Moment wieder da: das Gefühl, als würde ein elektrischer Funke auf mich überspringen. Ich sehe hoch, und unsere Blicke treffen sich. Sein Gesicht ist dicht vor meinem, ich spüre seinen warmen Atem auf der Stirn. „Marta“, sagt er leise und lässt den Kopf ein wenig sinken. Ich kann mich nicht zurückhalten und strebe mit dem Mund seinen Lippen entgegen – doch dann sehe ich mit einem Mal Rachel vor mir.
Ich weiche zurück. „Paul, hör auf. Ich kann nicht.“
Forschend sieht er mich an, er wirkt verletzt und verwirrt. „Liebst du ihn?“, fragt er.
„Was?“, gebe ich zurück.
„Deinen Ehemann … liebst du ihn?“
Schon wieder diese Frage, denke ich und werde an Emma erinnert. „Ich habe ihn geheiratet“, erwidere ich schließlich.
„Und ich?“, hakt er nach. „Ich weiß, dass du noch etwas für mich empfindest, Marta. Ich kann es fühlen.“
Ich beiße mir auf die Lippe. „Würde es etwas ändern, wenn es so wäre?“
„Nein, natürlich nicht“, antwortet er rasch und weicht meinem Blick aus. Sekundenlang schweigen wir beide.
„Es tut mir leid, wenn du mir deswegen nach Prag gefolgt bist“, sage ich.
Er schüttelt den Kopf. „Ich bin dir gefolgt, weil es mein Job ist.“ Aber sein schmerzhafter Tonfall sagt etwas ganz anderes. Ich betrachte sein Gesicht, während er in die Ferne blickt.
„Aber warum …“ Ich unterbreche mich, dann fange ich noch einmal von vorn an: „Warum bist du nicht früher zu mir gekommen? Nachdem du wieder gesund warst?“
„Ist das wichtig?“ Sein Blick ist leer, seine Miene so verbittert, wie ich es noch nie bei ihm erlebt habe.
Ich berühre seinen Arm. „Paul, ich …“
Doch er dreht sich weg von mir. „Konzentrieren wir uns lieber darauf, Marcelitis zu finden“, bemerkt er abweisend. „Danach kannst du endlich heimkehren.“
Als ich mich hinter ihm aufs Motorrad setze, merke ich, wie wütend er ist. Und eifersüchtig. Verärgerung und Trotz regen sich in mir. Es ist nicht fair, dass er mir meine Entscheidungen vorwirft! Er war tot, zumindest hielt ich ihn für tot. Es ist ja nicht so, als hätte ich einem anderen Mann den Vorzug gegeben. Einmal mehr überkommt mich das Verlangen, ihm die Wahrheit über Rachel zu sagen. Aber würde diese Wahrheit nicht noch alles schlimmer machen? Bevor ich darüber gründlich nachdenken kann, startet Paul den Motor, und wir fahren los. Wieder schlinge ich die Arme um ihn, sobald wir zurück auf der Straße sind.
Eine Stunde später erreichen wir die Außenbezirke von Berlin. Hier sieht es so aus, als wäre der Krieg erst gestern zu Ende gegangen, denke ich, als wir durch die Straßen fahren. Die Stadt liegt in Trümmern, überall kann man die Folgen der Bombardierungen sehen. Ganze Straßenzüge sind verwüstet. Paul kommt nur langsam voran, da er mal einem Bombentrichter,
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