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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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solche Angst, dass ich meinen schmerzenden Knöchel kaum bemerkte. Aber nur eine halbe Stunde später waren wir unbehelligt zurück auf der Straße, diesmal auf der deutschen Seite.
    Stundenlang habe ich mich an Paul festgeklammert, während er mich mit seinem breiten Körper vor dem Fahrtwind abschirmte. Dabei kamen mir immer wieder die bohrenden Fragen ins Bewusstsein, die mich schier zu erdrücken drohen. Jahrelang habe ich um Paul getrauert, der schreckliche Verlust war Teil meines Lebens. Wieso habe ich nicht gespürt, dass er irgendwo da draußen ist? Dass er überlebt hat? Wie ist es möglich, dass er jetzt wieder hier ist, dass er zum unwahrscheinlichsten Zeitpunkt am unwahrscheinlichsten Ort auftaucht und in mein Leben zurückkehrt? Ich versuche die Gedanken zu verdrängen, um mich daran zu erfreuen, dass ich die Gelegenheit bekommen habe, noch einmal mit ihm zusammen zu sein. Insgeheim fürchte ich immer noch, dass er sich als Halluzination entpuppen könnte und sich vor meinen Augen in Luft auflöst.
    Wir halten vor dem kleinen Lokal, Rauch steigt aus dem Schornstein. Paul hilft mir vom Motorrad, dabei ruht seine Hand länger als nötig auf meiner Schulter. Ich reagiere mit einem Schaudern, das noch stärker ist als die Reaktion, die er früher bei mir auslöste. „Entschuldige“, murmelt er und nimmt die Hand weg. Ich nicke und gehe zur Tür, Paul ist nur einen halben Schritt hinter mir, so als hätte er seinerseits Angst, ich könnte spurlos verschwinden.
    Im Lokal zähle ich ein Dutzend Tische, nur einer ist von ein paar Männern in Jagdbekleidung besetzt. „Ich bin gleich zurück“, sage ich, als ich das Schild entdecke, das den Weg zu den Toiletten weist. Als ich zurückkomme, sitzt Paul an einem Tisch in der Ecke, von den Jägern so weit wie möglich entfernt. Vor ihm stehen zwei Krüge mit Bier.
    „Ich habe etwas zu essen bestellt“, lässt er mich wissen.
    „Wie denn das? Ich dachte, du sprichst kein Deutsch.“
    „In den letzten Jahren habe ich das ein oder andere aufgeschnappt.“ Er schiebt mir einen Krug zu. „Komm, lass uns anstoßen.“
    „Worauf? Auf den Erfolg unserer Mission?“
    „Nein“, antwortet er hastig. „Das bringt Unglück. Einer der Jungs aus der Einheit hat am letzten Abend in Paris auf uns alle angestoßen. Und du weißt ja, was passiert ist.“ Ein Schatten huscht über sein Gesicht.
    „Tut mir leid.“
    Er schüttelt den Kopf. „Auf dich und dein Lebensglück“, sagt er stattdessen.
    Glück? Glück wäre es gewesen, wenn ich dich vor Jahren ausfindig gemacht hätte, anstatt zu glauben, dass du tot bist!, möchte ich erwidern. Stattdessen stoßen wir an und trinken einen Schluck. „Danke. Aber was ist mit deinem Lebensglück?“
    Er zuckt mit den Schultern. „Was das bedeutet, weiß ich längst nicht mehr. Ich meine, es geht mir gut, ich versinke nicht im Selbstmitleid.“ Er zwinkert mir zu. „Eine hübsche junge Frau hat mir mal gesagt, dass ich das mit dem Selbstmitleid besser bleiben lassen sollte. Ich lebe. Und ich habe eine Aufgabe. Aber Glück? Das habe ich vor gut zwei Jahren in Paris zurückgelassen.“
    Plötzlich kommt es mir vor, als würde sich eine Hand um mein Herz legen und zudrücken. Wenn ich dir so viel bedeutet habe, warum bist du dann nicht zu mir gekommen? Bevor ich das aber fragen kann, kommt eine stämmige Frau an unseren Tisch und stellt zwei tiefe Teller ab. Es ist schlichte Hausmannskost: herzhafter Eintopf mit Fleischeinlage, dazu etwas Brot. Als die Frau wieder gegangen ist, sehe ich Paul unsicher an. Vielleicht sollte ich ihn besser nicht fragen, womöglich wird mir die Antwort nicht gefallen.
    Lautes Gelächter von dem anderen Tisch reißt mich aus meinen Gedanken, und mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. In unserem Bemühen, die Grenze zu überqueren, habe ich für eine Weile tatsächlich vergessen, wohin ich unterwegs bin. Das hier ist Deutschland, und diesmal bin ich nicht nur auf der Durchreise. Diesmal bin ich unterwegs nach Berlin, dem Machtzentrum der Nazis. Ich mustere die Jäger und frage mich, was sie wohl während des Krieges gemacht haben. Kämpften sie für ihr Land, töteten sie auf Befehl ihres Führers Juden in Konzentrationslagern?
    „Und wie sieht dein Plan aus?“, fragt mich Paul. Ich drehe mich zu ihm, seine Frage ist eine willkommene Ablenkung. „Was geschieht, wenn wir in Berlin sind?“
    Ich zögere mit meiner Antwort. Ich hatte es so eilig, aus Prag wegzukommen, dass ich mir bislang noch gar

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