Die Frau des Diplomaten (German Edition)
wenn ich das so sage“, fällt sie ihm ins Wort. „Aber wir geben ziemlich wenig auf das, was westliche Regierungen uns versprechen. Damals, als die Deutschen …“
„Ich weiß“, unterbreche ich sie ruhig. „Ich habe das selbst miterlebt, ich weiß noch genau, wie es damals war. Aber diesmal ist es anders.“
Sie kneift die Augen zusammen. „Wirklich? Inwiefern?“
„Ich wurde hergeschickt, um Ihnen das hier zu geben.“ Ich hole den Umschlag aus meiner Tasche und lege ihn vor Jan auf den Tisch. Sie holt das Schreiben heraus und hält es in den Schein der Kerze. „Diese Liste enthält die Namen unserer wichtigsten Kontaktleute in der Region. Kontaktleute, mit denen Sie …“
„Ich weiß, was das ist.“ Ihre Augen werden größer, als sie die erste Seite überfliegt. „Woher bekomme ich den Code?“
„Sie nehmen Kontakt mit einem unserer Männer in der Prager Botschaft auf, sein Name ist Lindt. Er gibt Ihnen den Code, sobald ich die Nachricht übermittelt habe, dass wir den Dechiffrierer bekommen. Falls es für Sie zu schwierig ist, nach Prag zu gelangen, kann ich vielleicht veranlassen, dass der Code an einen anderen Kontaktmann übermittelt wird.“
„Nach Prag zu kommen ist kein Problem“, antwortet Jan knapp, faltet den Brief zusammen und steckt ihn in ihre Bluse.
„Dann sind wir uns einig?“, fragt Paul.
Ich sehe gebannt zwischen Paul und Jan hin und her. „Ja, aber ich muss den Dechiffrierer erst holen“, meint sie gemächlich. „Das wird ein paar Stunden dauern.“
„Sollen wir Sie begleiten?“, frage ich.
Jan schüttelt den Kopf. „Allein bin ich schneller und ziehe nicht so viel Aufmerksamkeit auf mich.“ Sie steht auf. „Warten Sie hier auf mich.“ Ehe wir etwas erwidern können, klettert sie die Leiter hinauf und verschwindet durch die Kellertür.
Paul und ich sehen uns nervös an. „Glaubst du, wir können ihr vertrauen?“, frage ich.
„Ich würde sagen, wir haben keine andere Wahl. Aber sie muss ja erst noch an den Code kommen, und solange du dem Außenministerium kein grünes Licht gibst, ist die Liste wertlos für sie.“
Ich stimme mit einem Nicken zu und muss an das leidenschaftliche Feuer in Jans Augen denken. „Vermutlich hast du recht. Wir können ihr vertrauen.“
„Sie ist eine erstaunliche Frau.“ Als ich seinen bewundernden Tonfall höre, verspüre ich einen Anflug von Eifersucht. Ich wünschte, ich wäre auch so erstaunlich, und nicht bloß irgendeine Frau, die ständig von ihm gerettet werden muss.
Ein Geräusch schallt durch den Keller, dann kommt Jan über die Leiter zurück zu uns. „Es ist alles geklärt. Sie können hierbleiben, während ich den Dechiffrierer hole. Hier unten sind Sie in Sicherheit, außerdem wird Herr Meierhof Ihnen etwas zu essen runterschicken.“
„In Ordnung“, antwortet Paul, klingt aber etwas besorgt. „Wir müssen uns noch überlegen, wie wir aus Berlin herauskommen, bevor jemand merkt, was auf der Polizeiwache los war.“
„Bei Tagesanbruch müssen wir das Land verlassen haben“, pflichtet sie ihm bei. „Wenn ich für Sie beide neue Papiere auftreiben kann, stehen die Chancen gut, dass Sie mit der ersten Maschine nach Wien fliegen. Bis dahin sollten Sie sich aber hier versteckt halten.“ Sie nimmt die Kerze, geht zu einem der Weinregale und schiebt es mühelos zur Seite. Dahinter kommt eine Tür zum Vorschein. Erst jetzt fällt mir auf, dass die Flaschen in diesem Regal leer sind. Jan öffnet die Tür, die in einen kleineren Raum führt, wo eine Matratze auf dem nackten Boden liegt. „Tut mir leid, luxuriös ist es nicht“, sagt sie leise zu mir. „Aber wenigstens können Sie zusammen sein.“
„Aber wir gehören nicht zusammen!“, protestiere ich sofort. „Ich bin verheiratet, müssen Sie wissen.“
„Mit einem anderen?“ Sie klingt überrascht. „Oh, entschuldigen Sie bitte. Aber so, wie Sie beide sich verhielten, wie Sie sich angesehen haben … nun, dann habe ich mich wohl geirrt.“
Paul folgt uns. „Alles in Ordnung?“
„Alles bestens“, erwidere ich, während meine Wangen glühen.
„Dann mache ich mich jetzt auf den Weg“, erklärt Jan und drückt mir den Kerzenstummel in die Hand. „Ich werde vor Sonnenaufgang zurück sein, um Sie zum Flughafen zu bringen. Wenn Sie wollen, können Sie sich eine Flasche Wein nehmen. Nur nicht den Chateau Rothschild von 1922. Der ist ein Vermögen wert, Herr Meierhof würde uns einen Kopf kürzer machen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“
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