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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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dass Paul es nicht fertigbringt, einen wehrlosen Menschen ohne Not zu erschießen. „Ich bin nicht sicher …“, sagt er schließlich.
    Jan wendet sich an Schobel, der blass geworden ist. „Wann fängt die nächste Schicht an?“
    „E-erst um sechs Uhr m-morgen früh“, stammelt er.
    Jan sieht zur Uhr an der Wand. Was für ein grausamer Scherz, in einem Gefängnis eine Uhr aufzuhängen, überlege ich und denke zurück an meine schier endlose Zeit in Haft. „Das sind noch fast acht Stunden, wenn er die Wahrheit sagt.“ Sie geht zurück in die Zelle und packt Schobel am Kragen, obwohl der Mann mindestens einen Kopf größer ist als sie. „Sie sollten nicht lügen“, warnt sie ihn.
    „I-ich lüge nicht“, beteuert er. „Wir haben um zehn angefangen, und der Dienst dauert acht Stunden.“
    Sie starrt Schobel noch sekundenlang an, dann lässt sie ihn so abrupt los, dass er nach hinten taumelt und beinahe fällt. Dann wendet sie sich an Paul: „Geben Sie mir Ihre Waffe.“
    Er zögert. „Ich finde, wir sollten nicht …“
    „Geben Sie sie mir!“ Ungeduldig zieht sie ihm die Pistole aus dem Gürtel und kehrt in die Zelle zurück. „Hinknien“, fordert sie Schobel auf.
    „Bitte nicht“, fleht der sie an.
    „Warten Sie. Ich finde nicht, dass wir …“, beginnt Paul, doch Jan hebt die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ich setze zum Reden an, bleibe jedoch stumm. Ich war selbst im Gefängnis, ich weiß, welche Wut man auf diejenigen hat, die einen eingesperrt haben.
    „Hinknien“, wiederholt Jan und stellt sich hinter Schobel. Langsam kniet er nieder und kneift die Augen zu. Ich muss wegsehen, während ich mich innerlich auf den Schuss gefasst mache. Dann jedoch ist nur ein dumpfer Laut zu hören, und als ich wieder hinsehe, liegt Schobel auf dem Boden und hat die Augen geschlossen. Sie hat ihn tatsächlich umgebracht, denke ich, doch dann komme ich näher und bemerke, dass er gleichmäßig atmet, so als würde er schlafen.
    „Ich habe ihn nur bewusstlos geschlagen“, erklärt Jan, während sie die Zelle verlässt und die Tür abschließt. Den Schlüssel steckt sie ein. „Bis zur nächsten Schicht wird ihn keiner finden.“ Sie gibt Paul die Waffe zurück. „Und jetzt raus hier.“
    Wortlos folgen Paul und ich ihr nach oben. Wir gehen an Hartwig vorbei, der mit aufgerissenen Augen an die Decke starrt. Er ist bereits das dritte Opfer, das meine Mission gefordert hat. Und dabei wollte er mich nicht einmal töten. Er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
    „Wir müssen den Toten verstecken“, bemerkt Jan. Ich sehe zu Paul, der Hartwig anstarrt. Seine Miene verrät mir, dass er sich schuldig fühlt und dass er es lieber vermieden hätte, den Mann zu erschießen. „In die Zelle mit ihm“, schlägt Jan vor.
    Innerlich schaudert es mir, wenn ich mir vorstelle, dass sich Schobel die ganze Nacht über die Zelle mit seinem toten Kollegen teilen soll. „Haben wir denn überhaupt noch Zeit?“
    „Ja, Sie haben recht“, lenkt Jan ein und wendet sich an Paul. „Helfen Sie mir, ihn hinter den Schreibtisch zu ziehen.“ Ich kann nicht zusehen, als sie Hartwigs Leichnam wegschaffen.
    Als wir die Wache verlassen, ist die Straße menschenleer. „Folgen Sie mir“, sagt Jan. „Und verhalten Sie sich ruhig, wir verstoßen gegen die Ausgangssperre.“ Lautlos führt sie uns durch Gassen und Nebenstraßen. Ihr glänzender, kastanienbrauner Pferdeschwanz wippt in der Dunkelheit hin und her. Paul ist so dicht hinter mir, dass ich mich frage, ob Jan uns für ein Paar hält. Ich muss mich zurückhalten, damit ich nicht nach seiner Hand greife.
    Nach ein paar Minuten bleibt Jan vor einem großen Restaurant stehen. Auf einem Schild über dem Eingang steht der Name Meierhof geschrieben. Paul und ich sehen uns fragend an. Hier werden wir ganz bestimmt nicht einkehren. Aber Jan führt uns um das Gebäude herum zu einer Kellertür, öffnet sie und gibt uns ein Zeichen, dass wir hineingehen sollen. Wir klettern eine Leiter nach unten in ein dunkles Gewölbe. Jan folgt uns und zieht die Tür zu.
    „Da wären wir“, sagt sie, entzündet ein Streichholz und macht einen Kerzenstummel an, der auf einem niedrigen Tisch steht. Hunderte von Flaschen säumen bis zur Decke übereinandergestapelt die Wände ringsum.
    „Ein Weinkeller?“, fragt Paul ungläubig und sieht sich um.
    „Nicht irgendein Weinkeller“, erwidert sie. „Das ist der Weinkeller des Meierhof, seit über einem Jahrhundert eine der ersten

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