Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Schiff entladen wird und man uns entdeckt. „Ruh dich einfach aus“, sage ich zu ihm. „Du musst durchhalten, wir haben es fast geschafft.“ Eine Antwort bekomme ich nicht.
Einige Minuten später stößt das Schiff irgendwo an, wahrscheinlich die Kaimauer, und wir werden kräftig durchgeschüttelt. Von oben sind Stimmen und Schritte zu hören, die schnell näher kommen. Eine Luke wird geöffnet, Leute kommen die Treppe hinuntergelaufen. Der Lichtkegel einer Taschenlampe zuckt umher. Ich stehe auf, atme einmal tief durch und nehme die Hände hoch. „Hallo?“, rufe ich.
Die Taschenlampe wird auf mich gerichtet. „Was ist hier los?“, erwidert eine Männerstimme auf Englisch.
Ich halte eine Hand vor meine Augen, da mich die Lampe blendet. „Können Sie uns bitte helfen?“ Ich sehe zwei Männer in Uniform, die sich uns nähern. Englische Zollbeamte, wie ich zu meiner Erleichterung erkenne.
„Blinde Passagiere!“, ruft der zweite Mann.
„Bitte“, gebe ich zurück. „Mein Name ist Marta Gold, ich arbeite für das Außenministerium, und dieser Mann ist Michael Stevens. Er ist Amerikaner. Fragen Sie bei seiner Botschaft nach, aber bitte, rufen Sie erst einen Krankenwagen! Er wurde angeschossen und muss dringend ärztlich versorgt werden.“
Die Männer blicken skeptisch zwischen Paul und mir hin und her. „Keine Bewegung“, fordert uns einer der Männer schließlich auf und wendet sich dann an den anderen: „Überprüfen Sie das. Und lassen Sie einen Krankenwagen kommen.“
„Beeilen Sie sich bitte“, füge ich hinzu. Der zweite Mann macht kehrt und eilt nach oben, während ich mich neben Paul knie. „Es ist alles in Ordnung, Liebling.“ Ich drücke seine Hand. „Wir haben es geschafft, Hilfe ist unterwegs.“
Paul zittert, seine Augen hat er wieder geschlossen. Ich lege meine freie Hand auf seine Stirn, die sich nun eiskalt anfühlt – was mir mehr Angst einjagt als zuvor sein Fieber. Er murmelt irgendetwas, und ich beuge mich weiter vor. „Was sagst du?“
„Was du mir da erzählt hast …“ Seine Stimme wird schwächer.
Ich schüttele ihn vorsichtig. „Paul, wach auf.“
„Hmmm“, macht er.
„Du hast mich etwas fragen wollen“, helfe ich ihm auf die Sprünge. „Was habe ich dir erzählt?“
„W-weiß nicht mehr“, antwortet er.
„Dann ruh dich aus. Du musst deine Kräfte schonen.“
Der zweite Mann kehrt zurück, bleibt aber am Kopf der Treppe stehen. „Es stimmt, was die Frau sagt“, ruft er schwer atmend seinem Kollegen zu. „Es ist eine anonyme Meldung eingegangen, dass sich zwei blinde Passagiere an Bord der Bremen befinden würden, ein Mann und eine Frau. Ein Amerikaner, eine Britin. Von einer Verletzung war keine Rede.“ Das wird Jan erledigt haben. Sie wollte uns mit der Nachricht helfen. Der Mann dreht sich zu mir um. „Die Krankenwagen sind unterwegs.“
Gleich mehrere?, wundere ich mich. „Ich brauche keine ärztliche Hilfe“, entgegne ich.
Keine Minute später höre ich in einiger Entfernung Sirenen, die sich rasch nähern. Dann kommen mehrere Sanitäter in den Frachtraum und eilen zu Paul. „Ma’am, wenn Sie bitte Platz machen würden, damit wir ihn behandeln können“, fordert mich einer von ihnen auf, woraufhin ich widerwillig meinen Platz räume. „Was ist passiert?“, fragt der Sanitäter.
„Er wurde angeschossen“, erwidere ich.
„Mit welcher Art von Waffe?“
Ich kann nur den Kopf schütteln.
Er sieht mich an. „Wie lange ist das her?“
Mir wird klar, dass ich jegliches Zeitgefühl verloren habe. „Ich weiß nicht mehr. Zwei Tage?“
Der Sanitäter schiebt Pauls Hemd hoch und untersucht schweigend die Wunde. Schließlich halte ich die Anspannung nicht mehr aus. „Wie geht es ihm?“, will ich wissen.
Der Mann sieht mich betroffen an. „Sind Sie mit ihm verwandt?“
„Ja“, erkläre ich hastig. „Das heißt, eigentlich nicht. Er hat keine Familie mehr, und ich … ich bin eine enge Freundin.“
„Er ist schwer verwundet und muss sofort operiert werden.“ Zu den anderen Sanitätern sagt er: „Wir müssen ihn hier rausschaffen.“ Als sie Paul auf die Trage legen, um ihn festzuschnallen, schreit er vor Schmerz auf. Ich folge ihnen an Deck.
Draußen angekommen, muss ich die Augen zusammenkneifen, weil das Tageslicht so blendet. Der Himmel ist von dichten grauen Wolken überzogen, es nieselt leicht. Die salzige Seeluft strömt in meine Lungen und befreit sie von der muffigen, feuchten Luft im Frachtraum. Ich laufe zu
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