Die Frau des Diplomaten (German Edition)
wann es wieder losgeht. Jetzt, wo die Kämpfe vorbei sind, hat sich das gelegt, aber man ist trotzdem immer noch von hundert Kameraden umgeben, die ständig reden und Lärm machen. Verstehen Sie mich nicht falsch“, fügt er rasch hinzu und hebt eine Hand. „Ich liebe diese Jungs, sie sind wie meine Brüder. Aber wenn sich mir die Gelegenheit bietet, Zeit an einem so wunderschönen Ort wie diesem zu verbringen …“ Er unterbricht sich und schaut mir tief in die Augen. „Und wenn ich Sie wiedersehen darf …“
Ein dumpfes Grollen lässt ihn innehalten. „Ein Unwetter“, sagt er, während ich mich umdrehe. Der Himmel über den Bergen ist pechschwarz, wieder donnert es, diesmal lauter als zuvor, und die ersten Regentropfen fallen auf uns herab. „Wir sollten umkehren.“
Ich sehe zum Ufer. Mittlerweile sind wir bis ans andere Ende des Sees getrieben und befinden uns gut einen Kilometer von unserem Ausgangspunkt entfernt. „Wir werden es niemals rechtzeitig zurück schaffen.“
„Dann müssen wir eben woanders Schutz suchen“, entgegnet er. „Bei einem solchen Unwetter ist es gefährlich, sich auf dem Wasser aufzuhalten.“ Es regnet stärker, und auf dem Holzboden unseres Boots bildet sich bereits eine kleine Pfütze. Der Regen dringt in meine Kleidung. „Dort drüben!“ Paul zeigt auf den am nächsten gelegenen Uferstreifen.
Ich wische die Tropfen von meinen Brillengläsern. Ein paar Meter vom Ufer entfernt steht im Schutz einer Baumgruppe eine kleine Hütte. „Vermutlich eine Gartenlaube“, überlege ich.
„Vermutlich.“ Ein Blitz zuckt über den Himmel, unmittelbar gefolgt von einem dröhnenden Donner. Paul beginnt, in Richtung Ufer zu rudern. Seine Armmuskeln zeichnen sich deutlich unter dem Uniformstoff ab, als er mit kraftvollen Bewegungen die Ruder durch das Wasser zieht, um das Boot gegen den starken Wind an Land zu bringen. Er springt ins flache Wasser und zieht das Boot ans Ufer, dann nimmt er meine Hand, um mir herauszuhelfen.
Wir rennen auf einem morastigen Weg zum Schuppen, ich halte mich an Pauls Hand fest. Er drückt die Tür auf, die sich mit einem lauten Knarren öffnet. Drinnen ist die Luft feucht und stickig, es riecht nach Terpentin und nassem Holz. Als Paul meine Hand loslässt, durchfährt mich ein kleiner Stich. Er greift in seine Tasche und zieht eine Schachtel Streichhölzer heraus. Eines davon zündet er an, im Schein der Flamme erkennt man eine mit Werkzeugen ausgestattete Werkbank. „Eine Laube. Sie hatten recht.“ Er sucht etwas in den Gerätschaften und ruft auf einmal laut: „Aha!“ Dann greift er nach einem Kerzenstummel und hält das Streichholz an den Docht.
„Da-das ist schon besser“, sage ich zähneklappernd.
Paul sieht mich mit ernster Miene an. „Sie sind völlig durchnässt.“ Er setzt seinen Rucksack ab und holt eine braune, nach Zigaretten, Kaffee und Schweiß riechende Decke heraus. „Hier.“ Er legt sie mir um, wobei wir uns auf einmal ganz nah kommen. Wir stehen da, mein Gesicht dicht vor seinem, und rühren uns nicht. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass sich eine riesige Hand um meinen Hals legt und zudrückt, bis ich keine Luft mehr kriege. Was geschieht mit mir?
Er holt meine Hand unter der Decke hervor, und ich glaube schon, er will sie halten. Tatsächlich soll ich aber nur die beiden Enden des rauen Stoffes zusammenhalten, damit mir warm wird. Er macht einen Schritt zurück und räuspert sich. „Ich wünschte, ich hätte trockenes Holz für ein Feuer.“
Ich lasse mich auf den Boden sinken. „Vermutlich ist es besser, wenn wir niemanden darauf aufmerksam machen, dass wir hier sind.“
Aus seiner Tasche holt er abermals die Flasche hervor, öffnet sie und nimmt einen kräftigen Schluck.
Das ist jetzt nicht der richtige Augenblick, um ihm Vorhaltungen zu machen. „Könnte ich auch einen Schluck haben?“
Verblüfft sieht er mich an. „Tut mir leid, aber ich hatte nicht gedacht, dass Sie …“
„Dass ich überhaupt Alkohol trinke?“, gebe ich lächelnd zurück. Meine Gedanken schweifen ab zu Jakub und Alek. Stundenlang saßen wir nachts zusammen, planten Aktionen für den Widerstand und stritten über die richtige Strategie. Irgendwer trieb immer noch eine Flasche Wodka auf, die wir herumreichten, während wir auf Polnisch na zdrowie , auf die Gesundheit!, und auf Hebräisch l’chaim , auf das Leben!, anstießen. „Doch, aber nicht so oft“, lasse ich ihn wissen, als er sich zu mir setzt.
Er gibt mir die Flasche,
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