Die Frau des Diplomaten (German Edition)
dabei berühren sich unsere Finger. Meine Hand zuckt unwillkürlich zurück, aber zum Glück verschütte ich nichts vom Inhalt. Whiskey, stelle ich fest, als mir das Aroma in die Nase steigt. Ich trinke einen Schluck und lege dabei den Kopf in den Nacken, wie Jakub es mir beigebracht hat, damit ich den Alkohol nicht so sehr schmecke. Ein vertrautes Brennen in der Kehle setzt ein, und Augenblicke später strahlt vom Magen her eine wohlige Wärme in meinen Körper aus. „Danke.“ Ich gebe Paul die Flasche zurück, und abermals berühren sich unsere Finger. Diesmal ziehe ich meine Hand nicht zurück. Dann jedoch bemerke ich das Wasser, das vom Ärmel seiner Uniformjacke tropft. „Sie sind ja auch ganz durchnässt“, bemerke ich.
„Ja, sieht so aus.“ Er sieht an sich herab, als würde ihm seine nasse Kleidung erst jetzt auffallen. „Halb so wild“, tut er es ab, wobei mir klar wird, dass er mir seine einzige Decke überlassen hat.
„Hier.“ Ich halte die Decke auf. „Die ist groß genug, die können wir uns teilen.“
Er zögert kurz, dann rückt er aber näher, nimmt ein Ende der Decke und legt sie sich um. Zitternd rutsche ich zu ihm, bis wir uns beide gut in den Stoff eingewickelt haben. „Darf ich?“, fragt er mich um Erlaubnis, als er einen Arm um mich legt. Bevor ich darauf reagieren kann, hat er mich bereits an sich gezogen. „Geht das so?“
„Es ist gut“, antworte ich und hoffe, dass er nichts davon bemerkt, wie wild mein Herz klopft.
„Es wird sicher bald aufhören zu regnen. Dann können wir uns auf den Rückweg machen.“
Aber das möchte ich gar nicht. Ich drehe den Kopf und sehe ihn an. Sein Gesicht ist dicht vor meinem, seine Augen zucken hin und her, als würden sie nach etwas suchen. Dann beugt er sich leicht vor, bis seine Lippen meinen Mund berühren. Es ist eine vorsichtige Berührung, so als warte er noch auf meine Erlaubnis. Mein erster Kuss . Ich bin so überrascht, dass ich gar nicht reagieren kann. Er legt eine Hand an meine Wange und presst seine Lippen fester auf meine. Tief in mir erwacht Sehnsucht, aber plötzlich erstarre ich und drücke meine Hand abwehrend gegen seine Brust. „Warte …“
Er zieht sich zurück. „Entschuldige bitte. Ich dachte, du wolltest …“
„Ich will ja“, beteuere ich atemlos. „Das heißt … ich dachte, ich will es. Aber du bist verlobt.“
„Ich war verlobt“, korrigiert er mich. „Ich glaube, es war vorbei, noch bevor ich nach Europa ging. Sie war meine Highschool-Liebe. Jeder rechnete damit, dass wir heiraten würden, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich so gut zusammen gepasst hätten.“ Er redet so hastig, dass ich Mühe habe, ihm zu folgen. „Was mir wohl mehr zu schaffen macht, ist der Gedanke, dass jetzt niemand mehr da ist, der auf mich wartet.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Auf jeden Fall tut es mir leid.“ Unsere Blicke halten einander fest. Küss mich noch mal, denke ich. Aber ich möchte nicht der Ersatz für eine andere Frau sein. Nicht noch einmal.
Schließlich drehe ich mich weg. Der Regen trommelt auf das Dach, und ich weiß, dass wir diesen Schuppen so bald nicht verlassen werden. Ich lasse den Kopf gegen Pauls Brust sinken und sauge die Wärme ein, die durch seine nasse Uniform dringt. Sein Kinn ruht auf meinem Kopf. Ich nehme die Brille ab und lege sie neben mich auf den Boden. Das Licht der Kerze wird schwächer, bald wird es ganz erlöschen. Paul atmet gleichmäßig, und in die wärmende Decke gehüllt, fallen mir allmählich die Augen zu.
Ich muss an eine Hütte in der Nähe von Lublin denken, in der Jakub und ich uns während des Krieges versteckten. Nicht, warnt mich eine innere Stimme, doch die Erinnerung ist bereits da. Im Schatten an der Wand sehe ich Jakubs Gesicht vor mir. Es lässt mich an die langen Nächte zurückdenken, die wir gemeinsam in der kleinen Hütte verbrachten, während wir auf unsere Kontaktperson warteten, die uns mit wichtigen Informationen versorgte. Natürlich schliefen wir nie in dieser Hütte, wir wagten ja nicht einmal, eine Kerze anzuzünden. Stattdessen versteckten wir uns in einer dunklen Ecke, steckten die Köpfe zusammen und unterhielten uns im Flüsterton, da wir in ständiger Angst waren, dass man uns entdecken könnte. Doch mit Jakub verging die Zeit schnell, hatte er mir doch stets eine interessante Geschichte zu erzählen.
Dann, eines Nachts – Jakub versuchte gerade, mir einen politischen Sachverhalt zu erklären –, hörten wir
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