Die Frau des Diplomaten (German Edition)
flüstert er, ohne mich loszulassen. Ich spüre seinen warmen Atem an meiner Stirn.
„Danke“, erwidere ich.
„Marta, ich …“ Er gerät ins Stocken. „Ich möchte … oder besser gesagt … ich möchte nicht …“ Ich sehe in sein Gesicht, das von Schmerz und Verlangen geprägt ist. Mir wird bewusst, dass er sich so wenig von mir verabschieden will wie ich mich von ihm. Mein Atem stockt, und in diesem Moment weiß ich, dass seine Sehnsucht wirklich mir gilt, nicht irgendeiner anderen Frau. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und lege eine Hand an seinen Nacken. Instinktiv ziehe ich sein Gesicht zu mir und drücke meine Lippen auf seinen Mund, um mir das zu holen, was ich vor ein paar Stunden noch nicht anzunehmen wagte. Vor Überraschung zögert er kurz, doch dann reagiert er, indem er den Kuss leidenschaftlich erwidert.
Plötzlich ertönt eine laute Hupe, und wir lösen uns schnell voneinander. Paul strafft die Schultern und dreht sich in die Richtung, aus der der Lärm kommt. „Sie machen sich zum Abmarsch bereit“, erklärt er. „Wir sollten uns besser beeilen.“ Er hilft mir das Ufer hinauf bis zum Trampelpfad. Schweigend gehen wir zum Schloss zurück. Geh nicht weg , möchte ich sagen, doch ich weiß, dass das albern ist.
Vor dem Schloss stehen die Lastwagen bereit, fertig zum Aufbruch. Paul dreht sich noch einmal zu mir um. „Marta, ich weiß nicht, was kommen wird. Ich wünschte nur, es gäbe irgendeine Möglichkeit.“
„Ja, ich weiß“, erwidere ich leise und zwinge meine Stimme dazu, mir nicht den Dienst zu versagen. Alles geschieht viel zu schnell. Unsere Blicke begegnen sich erneut, und ich muss mich zurückhalten, um mich nicht wieder an ihn zu klammern. „Pass gut auf dich auf.“
„Komm schon, Paul!“, ruft einer der Soldaten ungeduldig. Die ersten Lastwagen verlassen bereits das Gelände.
„Mach’s gut“, flüstert er mir zu und geht ein paar Schritte rückwärts, ohne mich aus den Augen zu lassen. Erst dann dreht er sich um und eilt zum letzten Wagen. Ich sehe mit an, wie ein paar Kameraden ihm auf die Ladefläche helfen. Als der Wagen das Schlossgelände verlässt, sieht Paul noch einmal in meine Richtung. Er lächelt mir zu und hebt eine Hand. Dann biegt der Lastwagen um die Ecke, und Paul ist aus meinem Leben verschwunden.
5. KAPITEL
Ich stehe regungslos da, während sich die Motorengeräusche der Lastwagen weiter und weiter entfernen. Ich starre in den Staub, den die Wagen aufgewirbelt haben, dann gehe ich zu der Treppe, die zur Terrasse führt, und lasse mich auf eine Stufe sinken. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, sodass ich kaum noch Luft bekomme. Ich halte mir den Ärmel unter die Nase, um Pauls Duft einzuatmen. Noch immer spüre ich seine Lippen auf meinen, und ich wünschte, ich könnte in die kleine Hütte zurückkehren, unter die schmutzige Decke kriechen und wieder seine Nähe spüren.
Zweifel regen sich in mir. Warum habe ich ihn nicht nach seiner Adresse in Amerika gefragt? Warum hat er sie mir nicht gegeben? Kann ich wirklich so stark für einen Menschen empfinden, den ich gar nicht kenne? Kann er das? Vielleicht war ich für ihn nur irgendeine junge Frau in irgendeiner fremden Stadt. Nein, den Gedanken verwerfe ich sofort wieder. Seine Gefühle waren echt, das habe ich ihm angesehen. Aber nun ist er fort. Nach allem, was ich erlebt habe, sollte ich eigentlich dankbar sein, dass mir überhaupt so ein Augenblick vergönnt war. Und doch möchte ich mehr als das.
Es reicht. Ich stehe auf. Ich sollte hineingehen und nach Rose sehen. Sie wird wissen wollen, wie ich die Nacht verbracht habe. Ich betrete das Gebäude und durchquere das Foyer. An der Tür zur Krankenstation taucht plötzlich Dava auf und stellt sich mir in den Weg. „Es tut mir leid, dass ich gestern Abend nicht mehr zurückgekommen bin“, entschuldige ich mich hastig. „Wir waren schon halb um den See herum, als das Unwetter aufkam.“ Das Boot verschweige ich lieber, weil ich weiß, dass ich mir keinen Gefallen täte, wenn ich es erwähnte. „Wir mussten uns unterstellen. Da war eine Gartenlaube, in der wir gewartet haben, bis der Regen aufhört.“ Während ich rede, betrachte ich Davas Gesicht, das keine Spur von Verärgerung zeigt. Da sind nur diese dunklen Ringe unter ihren geröteten Augen, die mich irritieren. Hat sie etwa die ganze Nacht an Roses Bett gewacht, weil ich nicht da war? „Und dann …“
Dava legt eine Hand auf meinen Arm. „Du musst mitkommen.“ Sanft, aber
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