Die Frau des Diplomaten (German Edition)
beschaffen“, fährt Dava fort. „Damit du als ihre Begleitung reisen kannst. Sie hatte ihrer Tante geschrieben, aber bestimmt wollte sie erst sichergehen, bevor sie dir Hoffnungen macht.“
Rose in England, ich an ihrer Seite. In meinem Kopf überschlagen sich die Bilder, als ich versuche, das alles zu begreifen. „Eine schöne Idee“, sage ich schließlich.
„Bevor sie starb, erklärte sie, dass du ihr Visum nehmen und an ihrer Stelle nach London reisen sollst.“
Ich sehe Dava mit großen Augen an. „Aber das ist Roses Visum. Wie soll ich …“
„Das Visum ist nicht übertragbar, aber es gibt Mittel und Wege. Wir können dir Papiere beschaffen, die dich als Rose ausgeben. Nur für die Dauer der Reise.“
„Ich kann nicht nach London reisen!“, protestiere ich. London ist viel zu weit weg. Und viel zu groß.
„Du hast Englisch gelernt“, hält Dava dagegen.
„Ich habe ein paar Kinderbücher gelesen. Das heißt noch lange nicht, dass ich die Sprache beherrsche. Außerdem habe ich nicht das Geld …“ Verlegen halte ich inne. „Ich kann die Reise gar nicht bezahlen. Und wovon soll ich dort leben?“
„Rose hat etwas Geld hinterlassen. Es wird genügen, um erst mal nach London zu kommen.“ Gemeinsam mit Rose nach England zu reisen, wäre beängstigend genug gewesen. Aber die Vorstellung, ganz allein dorthin zu gehen, lähmt mich beinahe. Dava fasst mich an den Schultern. „Marta, hör mir zu. Ich weiß, Roses Tod hat dich getroffen. Mir geht es nicht anders. Und die Aussicht auf die weite Reise mag dich im Moment überfordern. Aber dieses Visum ist kostbar! Du hast keinen besonderen Status, du hast keine Verwandten in Amerika oder in irgendeinem anderen Land. Du kannst nicht ewig hier im Lager bleiben. Du musst dich irgendwo niederlassen und ein neues Leben beginnen. Verstehst du das?“ Ich schweige. „Wenn du nach London reist, dann kannst du Roses Sachen mitnehmen und ihrer Tante persönlich die Nachricht von ihrem Tod überbringen. Das würdest du doch für Rose tun wollen, oder?“
„Ja“, antworte ich. „Aber ich kann mich doch nicht einfach so als jemand anderes ausgeben! Ist das denn nicht gefährlich?“
„Nein, nicht wirklich. Viele Menschen haben durch den Krieg ihre Papiere verloren, und an den Grenzen sehen die Wachleute kaum einmal genauer nach. Mit dem Fälschen von Ausweisen verdient man momentan richtig gutes Geld. Ich kenne hier in Salzburg eine exzellente Adresse. Also, wirst du es machen?“
Ich atme tief durch. „Ja, ich mache es. Aber erst in ein paar Wochen, wenn mein Englisch besser ist.“
Dava schüttelt den Kopf. „Das wird leider nicht möglich sein. Das Visum läuft morgen ab.“
„Morgen schon?“
„Ja. Rose hatte ihre Tante bitten wollen, es verlängern zu lassen, für den Fall, dass sie wieder gesund wird. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.“ Es tut mir im Herzen weh, wenn ich daran denke, welche Pläne Rose gehabt hat. „Du musst abreisen, bevor das Visum abläuft. Wenn wir dir eine Fahrkarte für einen Zug nach Calais beschaffen, dann kannst du schon morgen Abend dort sein und mit der Fähre nach Dover übersetzen. Aber dafür musst du noch heute aufbrechen.“
Heute? Meine Gedanken überschlagen sich. „Was ist mit Rose? Wird es eine Beerdigung geben?“
Dava zögert. „Ja, aber ich glaube nicht, dass wir das arrangieren können, bevor du aufbrichst. Sie muss noch vom Amtsarzt untersucht werden, damit er den Totenschein ausstellen kann. Ich werde mich um eine angemessene Beisetzung kümmern, das verspreche ich dir.“
Mein Herz schmerzt bei dem Gedanken, dass ich Roses Beerdigung nicht werde beiwohnen können. Ich stelle mir den Friedhof vor, jenen kleinen Flecken Erde voller Grabmale auf dem Hügel gleich hinter dem Schloss. „Ihr Grab sollte sich in der Nähe der großen Eiche befinden.“
Dava nickt. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Dann steht sie auf. „Jetzt muss ich nach Salzburg, um deine Fahrkarte zu besorgen. Du nimmst inzwischen ein Bad und packst deine Habseligkeiten. Iss etwas und ruh dich aus. Du wirst heute Abend abreisen.“
Nachdem Dava gegangen ist, sitze ich wie benommen da und starre auf den See. Gestern um diese Zeit lebte Rose noch, und Paul spukte als schöne Erinnerung in meinem Kopf herum. Jetzt sind sie beide aus meinem Leben verschwunden, und ich werde diesen Ort genauso allein verlassen, wie ich hergekommen bin.
Mein ganzer Körper schmerzt vor Erschöpfung. Ich muss versuchen, mich auszuruhen,
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