Die Frau des Diplomaten (German Edition)
entschieden dirigiert sie mich weg von der Krankenstation.
„Warte, ich will Rose erzählen …“ Ich werfe einen Blick über die Schulter durch die Tür, aber ich kann Rose nicht entdecken. Panik steigt in mir auf. Hat man sie für eine Untersuchung aus dem Zimmer gebracht? „Wo ist sie?“, frage ich Dava, bekomme aber keine Antwort. „Was ist los? Stimmt etwas nicht?“
„Lass uns nach draußen gehen.“ Wieder will sie mich von der Tür weglotsen, doch ich entziehe mich ihrem Griff.
„Nein, sag mir erst, was los ist.“
Sie zögert, dann geht sie zu einer der Marmortreppen, setzt sich auf eine Stufe und bedeutet mir, neben ihr Platz zu nehmen. „Marta, du weißt, dass Rose sehr krank war …“
Sehr krank war ? „Was soll das heißen?“
Dava legt ihre Hand erneut auf meinen Arm. „Rose ist von uns gegangen.“
„Von uns gegangen?“, wiederhole ich verständnislos. „Hat man sie in ein anderes Krankenhaus gebracht?“
„Nein, nein …“, antwortet sie kopfschüttelnd. „Marta, es tut mir leid, aber Rose … ist gestorben.“
Gestorben . Das Wort wird von meinem Verstand abgestoßen, will einfach nicht akzeptiert werden. „Aber das ist doch gar nicht möglich. Gestern Abend saß sie noch da und unterhielt sich mit …“
„Du weißt, dass sie eine Blutkrankheit hatte. Das Medikament, das die Ärzte ihr gegeben haben, schwächte ihr Immunsystem. Sie zog sich eine Infektion zu, und das Fieber stieg ganz plötzlich. Niemand konnte so etwas ahnen.“
Dava redet weiter, doch ich höre ihr nicht mehr zu. Ich sehe Rose vor mir, wie sie noch gestern Abend neben mir auf der Terrasse saß und zu den Bergen hinaufschaute. Ich springe auf und renne in den Krankensaal. „Marta, bleib hier!“, ruft Dava mir nach.
Vor Roses Bett bleibe ich stehen, doch es liegt nur noch die nackte Matratze darauf, den Nachttisch hat man leer geräumt. „Nein …“, kommt es zitternd über meine Lippen.
Dava tritt leise an mich heran und legt einen Arm um mich. „Sie hat jetzt ihren Frieden.“
Ich schüttele den Kopf. „Ich hätte bei ihr bleiben sollen.“
„Das hätte nichts geändert. Außerdem hat sie sich für dich gefreut. Sie wusste, dass du Paul wiedergetroffen hast.“ Plötzlich kommt mir die letzte Nacht wie eine sehr ferne Erinnerung vor. „Jetzt komm.“ Ich lasse mich von Dava hinaus auf die Terrasse führen. „Warte hier“, sagt sie und verschwindet wieder. Unterdessen setze ich mich auf die Bank, auf der ich am Abend zuvor noch mit Rose gesessen hatte. Tränen steigen mir in die Augen. So viele Menschen habe ich verloren – meine Eltern, all meine Freunde. Aber jetzt ist der Krieg vorüber. Wir sind die Überlebenden, diejenigen, die es geschafft haben. So etwas sollte nicht mehr passieren. Schluchzend verberge ich das Gesicht in den Händen.
Einen Moment später höre ich Schritte. Ich sehe auf und wische die Tränen fort. Dava steht vor mir und hält zwei Tassen Tee in ihren Händen. „Hier, nimm das.“ Sie gibt mir eine Tasse, die meine klammen Finger wärmt.
Dann nimmt sie neben mir Platz. Schweigend trinken wir Tee und betrachten den See und die Berge. „Ich war bei ihr“, sagt sie nach einer Weile. „Als es zu Ende ging.“
Ich schaue zu ihr auf. „Ja? Hat sie noch etwas gesagt?“
„Sie bat mich, dir zu danken. Dafür, dass du versucht hast, ihr zu helfen.“ Wieder verfällt Dava in Schweigen. „Und sie bat mich, dir das zu geben.“ Aus ihrer Tasche zieht sie einen Umschlag hervor.
Verdutzt öffne ich ihn und hole ein gefaltetes Blatt Papier heraus, in das ein mir unbekanntes Siegel geprägt ist. Der mit Schreibmaschine verfasste Text ist offenbar englisch, ich verstehe den Sinn der Worte nicht. „Was ist das?“
„Das ist Roses Visum für England“, antwortet Dava.
„Ein Visum? Wieso …?“
„Ihre Tante lebt in England. Rose sollte zu ihr kommen und bei ihr leben. Hat sie nie davon gesprochen?“
Ich schüttele den Kopf. „Sie erwähnte einmal, dass ihre Tante in London lebt. Aber kein Wort von einem Visum.“
„Vermutlich hat sie darüber geschwiegen, weil es für sie ohnehin kein Thema mehr war“, überlegt Dava. „Sie war viel zu krank zum Reisen.“ Mir ist klar, dass das nicht der wahre Grund gewesen ist. Rose wusste, dass ich niemanden habe, zu dem ich gehen kann. Sie wollte mir nicht unter die Nase reiben, dass sie im Gegensatz zu mir Verwandte hat, die auf sie warten. „Sie sprach davon, dass sie versuchen wollte, ein zweites Visum zu
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