Die Frau des Diplomaten (German Edition)
sonst wird meine Kraft nicht reichen, um die Reise anzutreten. Ich erhebe mich und gehe ins Haus, durchquere das Foyer und anschließend den Krankensaal. An Roses Bett zögere ich kurz, da ich noch immer damit rechne, dass sie darin liegt und wissen will, wie meine Nacht mit Paul verlaufen ist. Ich streiche über die Matratze, und plötzlich wird mir klar, dass Dava recht hat: Rose würde ganz sicher wollen, dass ich ihr Visum benutze.
Ich nehme die Brille ab und lege mich auf mein Bett. Meine Augen brennen. Es tut mir leid, Rose, dass ich dir nicht helfen konnte. Ich drehe mich auf die Seite und starre die Wand an. Dann drücke ich den Kopf ins Kissen und mache fest die Augen zu.
Ich träume von einem grauen Märzmorgen im Ghetto, der Wind weht Zeitungspapier und anderen Unrat über das Pflaster. Ich sollte eigentlich zum Verwaltungsgebäude gehen, um mich zur Arbeit zu melden, stattdessen führt mich mein Weg zum Waisenhaus. Vor ein paar Stunden bin ich von meiner Mission mit Jakub zurückgekehrt, und ich kann noch immer nicht klar denken, so sehr haben mich seine Worte aufgewühlt. Ich muss zu Emma. Auch wenn ich ihr gegenüber Jakubs Namen nie erwähnt habe, so weiß sie doch, dass es einen Mann gibt, für den ich sehr viel empfinde. Sie wird mir helfen, meine Gedanken zu ordnen. Ich betrete das Waisenhaus und treffe auf meine Mutter, die eben einen Säugling wickelt. Als ich zu ihr komme, schaut sie mich erleichtert an. „Hallo, Shayna “, sagt sie und küsst mich auf die Wange. Shayna. Meine Hübsche . „Wie geht es dir?“ Sie fragt nicht, wo ich war und warum ich letzte Nacht nicht nach Hause gekommen bin.
„Gut, Mama. Ich suche Emma.“
Meine Mutter sieht mich mit ernster Miene an. „Sie ist verschwunden“, erwidert sie leise. „Gestern ist an ihrer Stelle ein anderes Mädchen zur Arbeit erschienen.“
Panik steigt in mir auf. Ich drehe mich um und renne aus dem Haus, rüber zur ulica Józefińska und dort bis zur Hausnummer 13. Ich reiße die Tür auf und stürme nach oben in die Wohnung, in der wir uns regelmäßig zum Schabbes-Essen treffen und heimliche Sitzungen des Widerstands abhalten. Ich hetze durch die Wohnung und platze ohne anzuklopfen in das hinterste Zimmer. „Wo ist Emma?“, will ich von Alek wissen, der allein am Schreibtisch sitzt.
Er sieht von seinen Papieren auf. „Keine Sorge, sie ist in Sicherheit. Wir mussten sie aus dem Ghetto herausschaffen und konnten sie bei Verwandten unterbringen.“ Ich lasse mich in einen Sessel sinken und versuche zu begreifen, was er da sagt. „Sie hätte sich bestimmt von dir verabschiedet, aber wir ließen sie erst im letzten Moment wissen, was wir vorhaben“, ergänzt er dann noch.
„Oh. Ich wusste gar nicht, dass sie außerhalb des Ghettos noch Verwandte hat.“
„Hat sie auch nicht. Aber ihr Ehemann.“
„Ehemann?“ Verständnislos sehe ich Alek an. „Emma ist nicht verheiratet.“
Nun ist es an Alek, eine verständnislose Miene zu machen. „Ich dachte, Jakub hätte es dir gesagt.“
Warum sollte Jakub mir etwas über Emma erzählen? „Ich verstehe nicht …“
„Am Anfang war ich seiner Meinung, es lieber geheim zu halten.“ Ich kann Alek kaum hören, so laut ist das Summen in meinen Ohren. „Aber da ihr beide so oft zusammen unterwegs seid, kam uns das ungerecht vor. Wir einigten uns darauf, zu warten, bis Emma weg ist. Ich dachte, er hätte es dir letzte Nacht gesagt.“
„Jakub sagte mir, dass …“ Plötzlich überkommt mich die Erkenntnis mit aller Wucht. „Soll das heißen, Emma und Jakub sind …?“
„Sie sind verheiratet.“ Verheiratet. Ganz allmählich versinkt der Raum in Schwarz.
„Marta!“, höre ich jemanden rufen, dann werde ich sanft gerüttelt. Ich blinzele. Bin ich wieder im Ghetto? Nein, es ist Dava, die vor mir steht. Ich bin in Österreich, in Salzburg. Wie lange ich geschlafen habe, kann ich nicht sagen. Draußen ist es noch hell, doch den Schatten nach zu urteilen, die die Bäume werfen, müssen einige Stunden vergangen sein. Ich sehe zu Roses leerem Bett und werde erneut von Trauer erfasst. „Zeit zum Aufstehen“, bemerkt Dava.
„Wie spät ist es?“
„Fast fünf.“ Ich sehe sie ungläubig an, sie redet weiter. „Ich wollte dich so lange wie möglich schlafen lassen, aber in einer halben Stunde kommt der Wagen, der dich zum Bahnhof bringt. Ich warte draußen auf dich.“
Sie verlässt die Station, und ich setze mich auf. Dann spritze ich mir aus der Waschschüssel auf meinem
Weitere Kostenlose Bücher