Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Ruhr, Typhus …“ Typhus! Meine Mutter ist im Ghetto von Kraków an Typhus gestorben. Ich sehe ihren von offenen Wunden überzogenen Körper vor mir, höre die Schreie, die sie im Fieberwahn ausstieß. „Da Sie frisch operiert waren, wollten wir vermeiden, dass Sie sich anstecken. Darum haben wir Sie ein wenig abgeschieden von den anderen untergebracht. Aber das wird sich bald ändern. Wir erwarten einen weiteren Transport, und wahrscheinlich wird jedes verfügbare Bett gebraucht werden. Das heißt, Sie bekommen bald Gesellschaft. Aber genug davon. Essen Sie lieber noch etwas Suppe.“
Während Dava mich mit mehr Suppe füttert, blicke ich über ihre Schulter. Die meisten anderen Frauen liegen noch in ihren Betten. Plötzlich werden mir Geräusche bewusst, die mir zuvor nicht aufgefallen waren. Leises Stöhnen, das Surren medizinischer Geräte. Und da ist noch etwas anderes: der schwache metallische Geruch von Blut.
Ich wende mich wieder Dava zu und betrachte aufmerksam ihr Gesicht. „Woher kommen Sie?“
„Geboren bin ich in Russland, aber meine Familie zog nach Wien um, als ich ein Kind war. Meine Eltern starben in Buchenwald.“
„Sie sind Jüdin?“, frage ich überrascht, denn wenn ich mir ihre gut genährte Figur ansehe, dann erweckt Dava nicht den Eindruck, als sei sie ebenfalls in irgendeinem Lager gewesen.
Sie nickt. „Ich studierte Sprachen in Südfrankreich, als der Krieg ausbrach. Meine Familie wollte nicht, dass ich nach Hause komme, also blieb ich dort. Später meldete ich mich freiwillig als Krankenschwester bei den Alliierten und kehrte nach Österreich zurück, sobald das möglich war. Aber meine Eltern … unser … es war nichts mehr da.“
So wie bei mir, denke ich. Meine Augen brennen.
„Nichts mehr da“, wiederholt sie nach einer Weile, klingt aber erstaunlich gut gelaunt, und da wird mir erst bewusst, dass sie über die Suppe redet, die ich offenbar aufgegessen habe. Nichts mehr da. Plötzlich bin ich zurück in meiner Zelle, ohne etwas zu essen und ohne zu wissen, wann man mir wieder etwas bringen wird. Panik überkommt mich, aber Dava ist den Umgang mit Überlebenden offenbar so gewöhnt, dass sie weiß, was in mir vorgeht. „Keine Sorge.“ Sanft tätschelt sie meine Schulter. „Das Rote Kreuz beliefert unsere Küche. Es ist genug Suppe da, und es gibt auch viele andere Lebensmittel. Wenn Sie noch Hunger haben und wenn Sie die Suppe bei sich behalten, werde ich Ihnen in einer Stunde ein Stück Brot bringen. Aber für den Augenblick müssen Sie erst mal eine Pause einlegen.“
Erleichtert lehne ich mich zurück. „Danke.“
„Mit Vergnügen.“ Dava steht auf. „Jetzt muss ich nach den anderen Patientinnen sehen, und Sie ruhen sich erst mal eine Weile aus. Sie müssen schließlich wieder zu Kräften kommen.“
Mit einem Mal scheinen meine Augenlider schwer wie Blei zu sein. „Ich bin etwas müde“, gestehe ich ein.
„Das kommt vom Essen. Ruhen Sie sich aus. Schlafen Sie, das hilft.“ Dava nimmt das Tablett an sich und will gehen.
„Dava“, rufe ich ihr nach und versuche, mich wieder aufzusetzen.
Sie dreht sich zu mir um. „Ja?“
„Ich muss Sie noch etwas fragen.“ Ich halte inne und stelle mir den Soldaten vor, der sich in meiner Zelle über mich beugte. „Sie sagten, die Amerikaner hätten mich hergebracht. Wissen Sie irgendwelche Namen?“
Dava zieht die Brauen zusammen. „Bedaure, nein. Warum fragen Sie?“
„Ich erinnere mich an einen bestimmten Soldaten, der sich dort um mich gekümmert hat, bevor ich bewusstlos wurde. Paul hieß er, glaube ich.“ Mein Herz schlägt schneller, als ich seinen Namen laut ausspreche.
„Und sein Nachname?“
Ich versuche mich zu erinnern, welcher Name auf seiner Uniform zu lesen gestanden hat. Ich schließe die Augen und konzentriere mich mit aller Macht, aber mein Gedächtnis lässt mich im Stich. „Den weiß ich nicht.“
„Im Moment sind in ganz Europa Tausende von Soldaten unterwegs, um die Lager zu befreien“, gibt sie mit sanfter Stimme zurück, und ich verliere prompt den Mut. „Ich werde herumfragen, wenn die anderen Transporte eintreffen, aber Sie sollten sich keine allzu großen Hoffnungen machen. Und jetzt ruhen Sie sich aus. Wenn ich mit meiner Runde fertig bin, komme ich wieder zu Ihnen.“
Ich lasse mich zurück in meine Kissen sinken und sehe Dava nach. Dann schaue ich mich noch einmal um. Das hier ist kein Traum, ich wurde tatsächlich gerettet. Die Erschöpfung überkommt mich, und
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