Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Jiddisch! Seitdem ich das Ghetto verlassen habe, hat in meiner Gegenwart niemand mehr Jiddisch gesprochen. Die Sprache klingt dem Deutschen sehr ähnlich, zudem hat die Frau einen leichten Akzent, sodass ich fürchte, es könnte sich um einen weiteren Trick der Deutschen handeln. Die Frau scheint meine Sorge zu bemerken und antwortet rasch auf ihre eigene Frage: „Sie sind in einem Sammellager der Alliierten, in der Nähe von Salzburg.“
Ein Lager? Salzburg? Meine Gedanken überschlagen sich. „Nazis …?“, bringe ich heraus. Mein Hals schmerzt, weil mir das Reden so schwerfällt, aber auch, weil es ausgerechnet dieses eine Wort ist, das ich aussprechen muss.
„Nein, die Nazis sind weg. Hitler ist tot, die Wehrmacht hat kapituliert. Der Krieg ist vorbei.“ Sie klingt so überzeugt und furchtlos. Während ich mir ihre Worte verinnerliche, greift sie über meinen Kopf hinweg zu einem Fenster, um die Vorhänge ein Stück zuzuziehen, damit nicht so viel Sonne in den Raum fällt. Nicht, möchte ich sagen. Immerhin habe ich zu lange in fast völliger Dunkelheit leben müssen. „So, das ist schon besser.“ Ich sehe sie an. Obwohl ihre Statur ihr etwas Gesetztes verleiht, verrät mir ihr Gesicht, dass sie höchstens dreißig ist. Eine braune Locke lugt unter ihrer Haube hervor.
Dava gießt aus einer blauen Kanne Wasser in ein Glas und stellt es auf den niedrigen Nachttisch neben meinem Bett. Ich will mich aufsetzen, doch sie hält mich zurück. „Warten Sie.“ Sie nimmt ein Kissen von dem freien Bett gleich nebenan und legt es auf das vorhandene Kissen in meinem Rücken. Dabei fällt mir auf, dass ich ein Krankenhausnachthemd aus grober, hellblauer Baumwolle trage. „Ihr Körper hat einiges aushalten müssen, machen Sie erst mal langsam.“ Ich hebe den Kopf an, als Dava mir das Glas Wasser reicht. „Nur kleine Schlucke“, ermahnt sie mich, und ich befolge ihre Anweisung. „So ist es richtig, Marta.“ Erstaunt darüber, dass sie meinen Namen kennt, sehe ich sie an. „Ihr Name stand auf Ihrer Stirn geschrieben, als man sie herbrachte“, erklärt sie. Angesichts meiner Ratlosigkeit fügt sie hinzu: „Die Soldaten, die die Menschen aus den Lagern holen, schreiben Namen oder andere Hinweise manchmal direkt auf den Patienten. Entweder weil sie kein Papier zur Hand haben, oder weil sie fürchten, dass die Notiz unterwegs verloren gehen könnte.“
Ich trinke noch einen Schluck und lasse mich nach hinten auf die Kissen sinken. Plötzlich fällt mir der Soldat ein, der mir in meiner Zelle etwas zu trinken gab. „Wie … wie bin ich hergekommen?“
Dava nimmt mir das Glas aus der Hand und stellt es zurück auf den Nachttisch. „Die Amerikaner entdeckten Sie bei der Befreiung vom KZ Dachau. Wir sind hier nur wenige Autostunden von Dachau entfernt, nicht weit von der Grenze zu Deutschland, deshalb werden viele Häftlinge zu uns gebracht. Sie waren bewusstlos, seit man Sie vor über einer Woche herbrachte. Ihre Schussverletzung hatte sich entzündet, und Sie hatten sehr hohes Fieber. Wir waren uns nicht sicher, ob Sie durchkommen würden. Aber jetzt sind Sie bei Bewusstsein, und das Fieber ist zurückgegangen.“ Dava sieht kurz über die Schulter, dann fährt sie fort: „Ruhen Sie sich noch ein paar Minuten aus. Ich werde dem Doktor Bescheid sagen, dass Sie aufgewacht sind.“
Während sie weggeht, schaue ich mich um. Zwar ist für mich nach wie vor alles verschwommen, doch ich erkenne jetzt mehrere Betten, die in gleichmäßigen Abständen in zwei Reihen an den Wänden dieses lang gestreckten Raums aufgestellt sind. Mein Bett steht in der äußersten Ecke, mit der Längsseite an der Wand. Alle Betten, bis auf das gleich neben meinem, scheinen belegt zu sein. Mehrere Frauen in weißer Kleidung eilen geschäftig umher.
Wenige Minuten später kehrt Dava zurück, sie trägt ein Tablett, ein älterer Mann mit dicken Brillengläsern folgt ihr. Er greift nach meinem Handgelenk, mit der anderen Hand berührt er meine Stirn. Dann hebt er die Decke an und zieht am Saum meines Nachthemds. Überrascht zucke ich zurück.
Dava stellt das Tablett ab und kommt zu mir. „Er muss die Wunde untersuchen, um Gewissheit zu haben, dass sie gut verheilt.“ Ich fühle, wie ich etwas ruhiger werde, und lasse den Arzt mein Nachthemd hochheben. Während seine kalten Hände meinen Bauch berühren, versuche ich nichts zu empfinden. Dann zieht er den Stoff weg, und ich sehe mit Erstaunen den sauber vernähten Schnitt an meiner Seite.
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