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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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verpasst, er ist nicht mit dieser Maschine abgestürzt. Er kommt heute an.
    Ein Zug taucht am Horizont auf, er fährt auf Gleis drei ein. Aufgeregt gehe ich ihm entgegen, bleibe dann aber stehen. Da stimmt etwas nicht. Der Zug bremst nicht ab, als er in den Bahnhof einfährt, sondern rast mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Das wird ein Unglück geben! Ich mache kehrt und renne, so schnell ich nur kann. Sekunden später kommt es hinter mir zu einer gewaltigen Explosion, eine glühend heiße Druckwelle schleudert mich zu Boden. Als ich den Kopf hebe und über meine Schulter schaue, erkenne ich, dass sich der Zug in einen riesigen Feuerball verwandelt hat. „Nein!“, schreie ich.
    Ich reiße die Augen auf. Wo bin ich? Erst als ich die blassblaue Tapete an den Wänden erkenne, weiß ich, wo ich bin. Ich bin in Delias Haus. Ich setze mich auf und versuche durchzuatmen. Am Fußende scheint die Sonne auf meine Bettdecke, Kinder sind zu hören, die sich auf dem Weg zur Schule lachend etwas zurufen. Der Geruch meines verschwitzten, ungewaschenen Körpers mischt sich mit dem Aroma der Portion Rührei, die auf dem Nachttisch steht.
    Paul ist tot. Fast zwei Wochen sind vergangen, seit ich in der Zeitung von dem Flugzeugabsturz gelesen und sein Foto angestarrt habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich ohnmächtig wurde, und als ich irgendwann in meinem Bett erwachte, konnte ich mir nicht erklären, wie ich dorthin gekommen bin. Delia saß neben mir, als ich das erste Mal aufwachte. „Hallo, meine Liebe“, sagte sie, beugte sich vor und legte die Arme um mich.
    „Er ist tot.“
    „Ich weiß, und es tut mir so leid.“
    Erst Rose, jetzt Paul. Der Krieg ist vorüber, solche Dinge sollten einfach nicht mehr geschehen! Schreckliche Schuldgefühle machten mir in den letzten Tagen zu schaffen, schließlich war es meine Schuld, dass Paul unbedingt nach London kommen musste. Tief in meinem Inneren weiß ich, dass das nicht stimmt, immerhin ist Pauls ganze Einheit mit der Maschine unterwegs gewesen. Dennoch passt dieser Gedanke zu meiner Trauer, die mit schmerzhaften Stichen jene Taubheit durchdringt, die sich auf mich gelegt hat. Von einem Moment auf den anderen habe ich Delia gehasst, dieses Haus und alles, was mit England zu tun hat. „Ich will in Ruhe gelassen werden!“, platzte ich heraus, worauf Delia mich betroffen ansah. „Ich … ich bin so schrecklich müde.“
    „Verstehe.“ Rasch stand sie auf. „Läute einfach, wenn du irgendetwas brauchst.“ Ich drehte mich weg und machte die Augen zu.
    Nach diesem Tag sprach ich mit niemandem mehr ein Wort, und ich verließ mein Bett nur, um ins Badezimmer zu gehen. Die meiste Zeit schlief ich, am Tag ebenso wie in der Nacht, weil ich so dem Schmerz zu entkommen hoffte. Aber es half alles nichts. Ich träumte von Paul, ich sah ihn tausend verschiedene Tode sterben. Mal wurde er erschossen, als er mich aus meiner Zelle holen wollte. Dann ertrank er in dem See, auf dem wir mit dem Boot gefahren waren. Einmal träumte ich sogar, ich sei wieder auf dieser Brücke in Kraków, doch nicht der Kommandant liegt tot neben mir, sondern Paul. Und ich träumte auch von all den anderen, die gestorben waren – meinen Eltern, meinen Freunden aus dem Widerstand, Rose … Plötzlich schien es, als sei ich allein für ihre Tode verantwortlich.
    Jeden Morgen stürzte erneut die Wirklichkeit auf mich ein. Der Schmerz war so intensiv, dass ich mich am liebsten in mir selbst aufgelöst hätte. Stundenlang lag ich im Halbdunkel und sah Pauls Gesicht vor mir. Immer wieder dachte ich an unsere gemeinsamen Momente: in Salzburg, in Paris, sogar in der Zelle, als wir uns zum ersten Mal sahen. Die Erinnerungen spulte ich wieder und wieder ab, bis ich darüber einschlief. So verging ein Tag nach dem anderen. Delia respektierte meinen Wunsch und besuchte mich nicht wieder, zumindest nicht dann, wenn ich wach war. Aber ich wusste, dass sie Charles über mich wachen ließ, der mich unermüdlich mit Essen versorgte: mit Eintopf, den ich nicht anrührte, mit Obst, das braun wurde, mit Eiscreme, die in ihrem Schälchen zerlief. Jedes Mal klopfte er zaghaft an, brachte ein Tablett, das er auf den Nachttisch stellte, und kam nach ein paar Stunden wieder, um das Tablett wieder abzuholen. Nicht ein einziges Mal unternahm er den Versuch, mich in eine Unterhaltung zu verwickeln oder mich zum Essen zu überreden.
    Diesmal muss Charles hereingekommen sein, während ich noch schlief. Der Geruch des Rühreis

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