Die Frau des Diplomaten (German Edition)
und mir hin und her. „Nun gut.“ Er wendet sich wieder an die Runde. „Suchen Sie weiter nach Kontaktmännern in Prag, die …“ Ich sitze reglos da, meine Ohren klingeln, und ich höre nichts mehr von dem, was gesagt wird. Im Geiste sehe ich Mareks rundliches Gesicht und diese kleinen Augen. Ich konnte ihn nie gut leiden. Er war flegelhaft, ihm fehlte es an Aleks Charme und Jakubs Witz. Das letzte Mal sah ich ihn außerhalb von Kraków bei einer Hütte, die dem Widerstand als Versteck gedient hatte. Es war der Tag nach dem Bombenattentat auf das Warszawa Café, Marek war auf dem Weg über die Grenze in die Tschechoslowakei, wo er sich mit Mitgliedern anderer Widerstandsgruppen treffen wollte. Ungläubig sah ich ihn an, wie er da in der Tür zur Hütte stand, in einer Hand den Rucksack. Er war zu diesem Zeitpunkt der Einzige, der noch in der Lage war, unsere Gruppe zu führen – wie konnte er auch nur mit dem Gedanken spielen, uns zu verlassen? Alek hätte uns niemals im Stich gelassen, doch Marek floh und überließ jeden von uns seinem Schicksal.
Ich bin mir sicher, dass es sich um ein und denselben Marek Andek handelt. Er muss es über die Grenze geschafft haben, er hat den Krieg überlebt, und irgendwie ist es ihm gelungen, mit Marcelitis Kontakt aufzunehmen. Hat er noch einmal etwas von Emma und Jakub gehört? Ich balle die Fäuste, bis sich die Fingernägel ins Fleisch bohren, und versuche mich auf die Besprechung zu konzentrieren. Der stellvertretende Minister macht soeben eine abschließende Bemerkung. Dieses abrupte Ende hat doch nicht etwa mit meinem Zwischenruf zu tun?
Als die Besprechung vorbei ist, ziehe ich mich hastig zurück, da ich Simon nicht gegenübertreten möchte. Für gewöhnlich ist er ruhig und gelassen, aber es gibt nichts Wichtigeres für ihn als das Bild, das er nach außen abgibt. Kein Wunder, dass er so aufgebracht ist. Ich suche die Damentoilette auf und wasche meine Hände, während ich mir Vorwürfe mache, weil ich nicht den Mund halten konnte. Ich habe Simon nie von meiner Zeit im Widerstand erzählt. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt, dass ich mich als Rose ausgegeben habe und mit ihrem Visum nach England gekommen bin, schließlich musste er den Papierkram für meine Einbürgerung und unsere Heirat erledigen. Doch abgesehen davon weiß er nur, dass man mich aus einem KZ befreit hat. Warum habe ich ihm nie etwas gesagt? Nun, zu Anfang fürchtete ich, dass er mich nicht für sich arbeiten lassen würde, wenn er die Wahrheit kennt, weil meine Vergangenheit ein schlechtes Licht auf ihn werfen könnte. Als wir dann verheiratet waren, bekam ich irgendwann das Gefühl, ihm gegenüber unehrlich zu sein, und schließlich stellte mein Schweigen ein größeres Problem dar als das eigentliche Geheimnis. Seit einer Weile habe ich die Zeit im Widerstand als einen Teil meiner Vergangenheit akzeptiert, über den ich nur noch selten nachdenke. Bis vor wenigen Minuten.
Als ich ins Büro zurückkehre, steht Simon mit verschränkten Armen vor meinem Schreibtisch. „Was hast du dir nur gedacht?“, fährt er mich an. Erschrocken weiche ich zwei Schritte zurück, um in dem winzigen fensterlosen Vorzimmer zumindest ein wenig auf Abstand zu gehen. „Willst du meine Karriere ruinieren?“
Angst erfasst mich, denn so wütend habe ich ihn noch nie erlebt. „Simon, es tut mir leid“, sage ich. „Ich wollte nicht …“
„Du solltest nicht glauben, dass du mich vor allen Leuten bloßstellen kannst, nur weil du meine Frau bist!“ Seine Nasenflügel beben. „ Schon gar nicht , weil du meine Frau bist. Und wie kommst du auf die Idee, du könntest diesen Mann kennen? Im Osten gibt es sicher mehr als einen Marek Andek!“
„Aber …“, gebe ich stockend zurück. Ich bin mir sicher, dass ich den richtigen Mann meine, aber das kann ich Simon nicht erklären, ohne meine gesamte Vergangenheit preiszugeben.
„Warum glaubst du, dass du Marek Andek kennst?“, fragt er drängend.
„Das würde ich auch gern wissen“, meldet sich eine Stimme hinter ihm. In der Tür zu Simons Büro steht der stellvertretende Minister.
„Sir“, bringt Simon heraus. Ich bin ebenfalls erschrocken, denn es ist das erste Mal, dass ich den Minister in Simons Büro sehe.
Er sieht über die Schulter in den Korridor, dann wieder ins Vorzimmer. „Vielleicht sollten wir das besser unter sechs Augen besprechen.“
Mir wird bewusst, dass er uns beide damit meint, also greife ich nach dem Notizblock und folge den Männern in
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