Die Frau des Diplomaten (German Edition)
könnten? Um Himmels willen, vor nicht einmal drei Jahren wäre sie da drüben fast umgekommen!“
„Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass es in nächster Zeit in der Tschechoslowakei zu einer Veränderung der Machtverhältnisse kommt. Die Minister der Koalition weigern sich zurückzutreten, und allein das wird die Kommunisten auf Wochen hinaus beschäftigen. Und selbst wenn sie Erfolg haben, werden bis zur Bildung einer neuen Regierung Monate vergehen.“
„Wie lange werde ich weg sein, sollte ich mich einverstanden erklären?“, frage ich.
„Ein paar Tage“, antwortet der stellvertretende Minister sofort. „Im Höchstfall eine Woche. Natürlich kürzer, wenn Sie Andek finden und er sie umgehend zu Marcelitis führt.“
„Marta, du kannst doch nicht ernsthaft mit diesem Gedanken spielen!“, geht Simon dazwischen.
„Sir“, wende ich mich an den stellvertretenden Minister. „Darf ich wohl kurz unter vier Augen mit meinem Mann sprechen?“
„Selbstverständlich. Allerdings muss ich Sie bitten, es kurz zu machen. Ich muss gleich zum Minister, der eine Antwort erwartet, wie wir mit dieser Situation umgehen wollen.“ Er verlässt das Büro und schließt die Tür hinter sich.
Ich sehe Simon an, der auf der anderen Seite des Schreibtisches steht und mich anstarrt. „Der Widerstand“, flüstert er dann mit einer Mischung aus Verärgerung, Enttäuschung und Unglauben. „Du hättest mir davon erzählen müssen, Marta.“
„Das wollte ich auch“, erwidere ich und denke schuldbewusst an all die anderen Dinge, die ich ihm verschwiegen habe. „Aber das alles ist ein so schmerzhafter Teil meiner Vergangenheit, dass ich Angst hatte, ihn aufleben zu lassen.“
Simon kommt um den Schreibtisch herum und kniet sich vor meinem Stuhl nieder, damit er auf Augenhöhe mit mir ist. „Marta, dieser Vorschlag mit Prag ist Wahnsinn. Sag mir bitte, dass du nicht ernsthaft darüber nachdenkst.“
Ich antworte nicht, sondern betrachte sein Gesicht. Zum ersten Mal in unserer Ehe zeigt er echtes Interesse an mir. Einen Moment lang überlege ich, ob es vielleicht nur Eifersucht ist, weil ich einen Beitrag leisten kann, zu dem er nicht in der Lage ist. Aber die Sorge, die ich in seinen Augen erkenne, ist echt. Ich merke, dass mich diese Erkenntnis tatsächlich berührt. Zu lange Zeit schien Simon mich gar nicht wahrzunehmen.
Ich stehe auf und gehe zum Fenster, während ich über die Bitte des stellvertretenden Ministers nachdenke. Prag. Osteuropa. Innerlich schaudert es mir. Dieser Teil der Welt war einmal meine Heimat, aber jetzt kommen mir diese Orte, die das Zuhause von tausend schmerzhaften Erinnerungen sind, düster und trostlos vor. Wie soll ich dorthin zurückkehren? Auf der anderen Seite des Parks sehe ich das Parlamentsgebäude. Ich habe den Briten vorgeworfen, dass sie beim letzten Mal keinen Finger rührten, als sie gebraucht wurden. Wie kann ich jetzt genauso tatenlos dasitzen, wenn ich doch etwas bewirken kann? Ich drehe mich um. „Simon, wenn ich wirklich helfen kann …“
„Was ist mit unserer Tochter?“, will er wissen und zeigt auf das Foto auf seinem Schreibtisch.
Ich betrachte das Bild, das Rachel im letzten Frühjahr im Garten zeigt. Der Gedanke, sie auch nur für einen Tag allein zu lassen, ist unerträglich. „Ich denke an sie, Simon. Rachel hat das Glück, an einem sicheren Ort zu leben. Ich weiß, wie schnell sich so etwas ändern kann. Du hast selbst gesagt, die Kommunisten stellen eine Bedrohung dar …“
„Rachel ist in Sicherheit.“ Er kommt zu mir, legt die Hände auf meine Schultern. Es fühlt sich fremd an, weil er mich so selten berührt. Jetzt macht er es, weil er will, dass ich ihm zuhöre. Während ich seine flehende Miene betrachte, wird mir klar, wie wenig seine Berührung mit Zuneigung zu tun hat. „Rachel wird hier immer in Sicherheit sein.“
„Vielleicht.“ Aber ich denke nicht nur an Rachel, sondern ich sehe auch Emma und Łukasz vor mir. Emma nahm den kleinen Sohn eines ermordeten Rabbis auf ihrer Flucht mit, obwohl sie selbst ein Kind erwartete. Wahrscheinlich sind sie alle noch immer irgendwo in Osteuropa, während ich ein friedliches Leben in London lebe. Wie mag es ihnen jetzt ergehen? Schuldgefühle überkommen mich. „Ich muss es versuchen, Simon.“ Ich sehe ihm in die Augen und hoffe, dass er mich versteht. „Ich kann nicht einfach ausharren und nichts tun. Es sind nur ein paar Tage. Es tut mir leid“, füge ich noch hinzu.
Er lässt mich los, als
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